Karl Philipp Engelland, Kulturagent

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Karl Philipp Engelland, Kulturagent

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Wenn er gerade nicht an einer der zahlreichen „kulturaktiven“ Schulen in Ulm gebraucht wird oder neue Websites austüftelt, tuckert er mit seiner dreirädrigen, zum Kreativlabor umgebauten Ape durch Ulmer Quartiere und versucht, Kunst und Kultur an möglichst vielen Stellen der Stadt erlebbar zu machen.

Karl Philipp Engelland sieht sich als Vermittler. Zwischen Kulturschaffenden und städtischen Einrichtungen, aber auch für kreative Spielarten der Digitalisierung. Der Beruf des Kultur- agenten wurde in Deutschland 2011 mit dem bundesweiten Modellprogramm „Kulturagenten für kreative Schulen“ praktisch erfunden. Auch nachdem die Förderung in Baden-Württemberg ausgelaufen ist, will die Stadt nicht mehr auf ihren Kulturagenten verzichten und finanziert die Stelle jetzt aus eigener Tasche.

Nach dem Ende des Modellprogramms ist Ulm die einzige Stadt in Baden-Württemberg mit einem Kulturagenten. Herr Engelland, was sind die Aufgaben eines Kulturagenten?
Als Kulturagent der Stadt Ulm bin ich ein Teil des Kulturvermittlungsteams der Kulturabteilung. Gemeinsam arbeiten wir daran, Zugänge zu Kultur für alle weiter zu entwickeln. Meine Hauptaufgabe ist dabei die Öffnung von noch ungenutzten Freiräumen zwischen Kulturakteur*innen, Verwaltung und den Bürger*innen. Als Kulturagent*innen reden wir hierbei von dem 'Dazwischen'. Die Aufgabe von großen Institutionen, wie z.B. eines städtischen Theaters, konzentriert sich ja vor allem darauf, das eigene Haus mit den zur Verfügung stehenden Mitteln zu bespielen. Für andere Formate, wie z.B. ein Straßentheater, das vor allem die Lebenswelten seines Publikums im Quartier mitberücksichtigt, reichen diese Mittel oftmals nicht aus. Es gibt aber viele Kulturschaffende, die das gerne machen wollen. Ihnen fehlt aber im Vergleich die Struktur einer kommunalen Kulturinstitution, wenn es z.B. um Abrechnungen und Öffentlichkeitsarbeit geht. Als Kulturagent unterstütze ich die Vernetzung und Ergänzung vorhandener Strukturen, um Zugänge zu diesem Dazwischen zusammen mit den Kulturschaffenden zu gestalten.

Das hat 2011 im Rahmen des Modellprogramms bei den Schulen angefangen, denn Schüler*innen einen Zugang zu Kultur zu vermitteln, wird auch als Aufgabe der Schulen verstanden. Für Lehrkräfte, die häufig allein für die Ausarbeitung ihres Unterrichts verantwortlich sind, ist es meistens eine zusätzliche Herausforderung, langfristige Kooperationen mit Kulturinstitutionen und Kunstschaffenden umzusetzen. Deshalb habe ich als Kulturagent gemeinsam mit den Schulen zuerst ein Konzept entwickelt, den sogenannten 'Kulturfahrplan'. Für die Umsetzung wurden dann zusätzlich zu den Fördermitteln des Modellprogramms weitere Fördergelder akquiriert. Auf dieser Basis ließen sich Strukturen entwickeln, die nun fester Bestandteil des Alltags an den Schulen sind. Etwa durch regelmäßige Mitwirkung von Künstler*innen. So hat dann zum Beispiel ein Autor den Unterricht zusammen mit der Lehrkraft aktiv mitgestaltet und für einen messbaren sprachlichen Fortschritt gesorgt.

Da beschreiben Sie ein weites Feld. Wie definieren Sie dabei den Begriff „Kultur“, lässt sich das überhaupt eingrenzen?
Entscheidend ist, dass über die bekannten Kunstsparten hinaus auch unsere Demokratie Kultur ist, genauso wie Essenskultur, Gesprächs- und Kommunikationskultur, Spielekultur usw. Kultur als Begriff ist damit sehr weit gefasst. Kunst ist hier überall ein essentieller Baustein. Allerdings wird Kunst bisher vor allem in Kulturinstitutionen wahrgenommen, die aber für viele Menschen als die berühmt-berüchtigten Elfenbeintürme der Kultur gelten, deren Zugänge sich nicht mit den eigenen Wegen im Alltag kreuzen. Das wollen wir weiterentwickeln, z.B. mit dem eben beschriebenem spontanen Straßentheater vor der Haustür im Quartier.

Was konnte an Ulmer Schulen im Rahmen des Kulturagentenprogramms realisiert werden?
Beispielsweise hat die Wilhelm Busch Schule in Wiblingen einen „Kulturmontag“ eingeführt. Alle Schüler*innen jeder Altersstufe gestalten ihren Unterricht an den Montagen in Kooperation mit Kultureinrichtungen und Kunstschaffenden. Die Schule ist ein Sonderpädagogisches Bildungs- und Beratungszentrum mit dem Schwerpunkt Lernbehinderung. Die Schüler*innen erhalten ganz neue Möglichkeiten, ihre Fähigkeiten zu entdecken, u.a. in den Bereichen Zeichnen, Musizieren, darstellendes Spielen oder auch Umgang mit digitalen Medien. Mittlerweile plant die Schule alle zwei Jahre ein Festival für Schulkunst, bei dem es nicht wie klassischerweise darum geht bestimmte Ergebnisse zu präsentieren, sondern darum, dass die Förderschüler*innen selbst Grundschüler*innen dazu anleiten, mit Kunstformen wie Breakdance oder Graffiti kreativ umzugehen.

Beeindruckend finde ich zudem die Öffnung des Profils 'Naturwissenschaft und Technik' des Kepler-Gymnasiums für künstlerische Kooperationen. Als erstes haben die Schüler*innen in diesem Kontext die stillgelegte Kepler-Turnhalle als Ausstellungsfläche für sich entdeckt und entsprechend genutzt. Die Lehrkräfte beschreiben bei fast allen Kooperationen mit externen Expert*innen im Unterricht, wie die Kinder und Jugendlichen über sich selbst hinauswachsen.

Sie haben schon erwähnt, dass ein weiterer Schwerpunkt die Kulturarbeit in den Quartieren ist. Gibt es da schon Erfolge?
Es gab einige Pilotprojekte, wie z.B. eine Augmented Reality Ausstellung am Eselsberg mit historischen Fotografien, die von Besucher*innen noch mit eigenen Fotos ergänzt werden konnte. Die Besucher*innen konnten sich die Ausstellung schnell auf ihren Smartphones individuell erschließen. Ansonsten ist da momentan noch viel in der Entwicklung. 2021 habe ich auch ein mobiles Kreativlabor (eine kleine Elektro-Ape) bekommen, mit dem ich schon unterwegs war, um Eindrücke und bürgerschaftliche Ideen in den Quartieren zu sammeln. Mit dem Kreativlabor gibt es jetzt einen mobilen Veranstaltungsort, den man überall unkompliziert hinfahren kann. Der ist zwar klein, aber wirkungsvoll. Man hat Strom, WLAN, ein Soundsystem, kann Konzerte oder Videokonferenzen durchführen, ein Nachbarschaftskino machen usw. Am 21.12.2021 war z.B. bundesweiter Kurzfilmtag. Da habe ich mit der Ape an verschiedenen Schulen Kurzfilme gezeigt.

Ist diese „Kultur-Ape“ eine Ulmer Eigenentwicklung, oder gibt es die zu kaufen?
Ja, das ist eine komplette Eigenentwicklung. Die Idee kam aus der Ulmer Kulturabteilung und hat uns alle begeistert, da sie so viel Potenzial hat. Bisher kenne ich keine andere Kommune, die etwas Vergleichbares besitzt. Die Bauteile haben wir in Zusammenarbeit mit der Digitalen Agenda finanziert. Den Ausbau hat dann die Ulmer Veranstaltungstechnikfirma Audio Express übernommen.

Die Corona Pandemie hat im Kulturbereich zu erheblichen Veränderungen geführt und der Digitalisierung zum Durchbruch verholfen. Erleichtert die kulturelle Digitalisierung auch die Vermittlungsarbeit?
Sagen wir mal so: Die Pandemie beschleunigt die Digitalisierung, die ja auch eine zeitgemäße Komponente der Kultur ist. In vielen Bereichen gibt es da aber noch zu wenig Erfahrung in der Anwendung. Die Schulen mussten beispielsweise einen Wahnsinnsspurt hinlegen, um die Schüler*innen während des Lockdowns digital unterrichten zu können. Da sind den Schulen schon die bisherigen Versäumnisse, die nicht in ihrer Verantwortung liegen, auf die Füße gefallen. Aber durch die digitale Beschleunigung in der Pandemie können viele Schulen jetzt auf erste Erfahrungen im Umgang mit der neuen Ausstattung zurückgreifen, um Unterricht auch digitaler zu gestalten.

Im kulturellen Alltag stellt sich die Frage, wo das Digitale das Analoge bereichern kann. Hier möchte ich betonen: nicht ersetzen, sondern bereichern! Digitale Techniken spielen eine immer größere Rolle und können ganz neue Zugänge eröffnen. Beispielsweise können unsere wunderbaren Smartphones so viel mehr, als nur telefonieren. Das nutzen viele aber gar nicht. Durch ihre umfassende Verbreitung bieten gerade die mobilen Endgeräte heute jedoch nahezu allen die Möglichkeit, sich zu beteiligen, dabei kulturelle Angebote zu erleben und selber mit zu gestalten.

Haben sich in Folge der Digitalisierung auch ganz neue Kunst-Formate herausgebildet?
Auch das. Im Prinzip sind es meistens bekannte Formate, die im digitalen Rahmen ein neues Erscheinungsbild erhalten. Es wäre z.B. möglich, bei einer Veranstaltung Exponate aus der Tate Gallery in London, einem weltbekannten Museum, für das Ulmer Publikum digital zugänglich zu machen. Diese hätten dann Gelegenheit, sich auf ihren eigenen Endgeräten mit den Kunstwerken auseinanderzusetzen und mit künstlerischer Begleitung eine analoge Antwort vor Ort darauf zu geben. In der Öffnung des sogenannten „hybriden Raums“ für alle vermute ich große Potenziale!

Das neueste „Baby“ der Ulmer Kulturvermittlung ist eine Kulturplattform namens „ulmutopia“. Was unterscheidet die z.B. vom bisherigen Ulmer Kulturportal?
Die Website ulmutopia.de ist zum Jahresanfang online gegangen. Es handelt sich um eine Plattform, auf der Ulmer Kulturakteur*innen ihre Angebote zur kulturellen Teilhabe im Zusammenhang mit digitalen Elementen darstellen können. Außerdem können Ideen ausgetauscht werden. Alle Interessierten können dann Kontakt aufnehmen. Die Angebote können sehr unterschiedlich aussehen, z.B. erfolgen sie durch den Einsatz eines Smartphones oder etwa durch Zuschalten von Expert*innen aus anderen Städten per Videokonferenz. Zusammengefasst dient ulmutopia.de dazu, digitale Medien noch stärker konstruktiv zu nutzen, wo es Sinn macht. So wie das viele in Zeiten von Corona gelernt haben. Gleichzeitig soll das Netzwerk von Kulturschaffenden und Kultureinrichtungen nochmal enger gestrickt werden.

Am wichtigsten ist uns dabei aber der Aspekt der aktiven Teilhabe, also Kunst nicht nur zu konsumieren, sondern auch selbst mitgestalten zu können. Kultur-in-ulm.de ist ein Kulturportal für die Ulmer und Neu-Ulmer Kulturszene, wo Veranstaltungstermine, Neuigkeiten und Hintergründe präsentiert werden. Das wollen wir ergänzen, gerade auch in Zeiten der (Post-)Pandemie. Bürger*innen sollen Aspekte ihrer Lebenswelten mit einbringen können. Diese Mitwirkung ist für mich auch ein spannendes Merkmal zeitgemäßer Kulturangebote. Das tiefe Verständnis im Umgang kreativer Technologien von Künstler*innen spielt für die Entwicklung und Umsetzung dieser Angebote eine wichtige Rolle. Wenn es gelingt, das Wissen dieses Umgangs auch nur in Ansätzen zu vermitteln, unterstützt das im besten Falle die offene Begegnung der Bürger*innen mit und durch Kunst und Kultur in Zeiten des Wandels.

Vielen Dank für das Online-Gespräch!

Thomas Dombeck