Die Natur mit allen Sinnen erfahren

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Die Natur mit allen Sinnen erfahren

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Hier gibt es fleischige Schleifenblumen, herzblättrige Schaumblüten und auch großblumige Mädchenaugen. Im Botanischen Garten trifft man unter anderem auf exotische Pflanzen, die in der Türkei, Marokko oder Nordamerika heimisch sind. Und hier im Freigelände auf dem Eselsberg trifft man mitunter auch Prof. Dr. Emma Sayer. Stefan Loeffler sprach mit der stellvertretenden Leiterin des Gartens über ihre Leidenschaft zur Natur, die Gefahren des Klimawandels und die faszinierende Kraft von Bäumen.

Frau Dr. Sayer, wie oft sind Sie denn im Botanischen Garten?
Wenn ich in Ulm bin, auf jeden Fall einmal in der Woche. Neben meiner wissenschaftlichen Tätigkeit hier tut mir ein Spaziergang durch die Anlagen ganz einfach gut. Dies ist vor allem nach langen Besprechungen sehr heilsam, wenn ich den Kopf wieder frei bekommen muss.

Als Einrichtung der Universität Ulm dient der Botanische Garten der Forschung und der Lehre. Können Sie zwei Beispiel nennen, was auf dem Gelände untersucht wird?
Im Moment starten wir ein Projekt, bei dem Studierende anhand von Wärmekammern und Trockendächern beobachten, wie sich der Klimawandel auf Böden und Pflanzen auswirkt. Zudem laufen hier immer verschiedene Pilotprojekte. Zum Beispiel testen wir im Moment, in welcher Form und Konzentration Bäume Treibhausgase wie Methan oder Lachgas aufnehmen und wieder abgeben. Dazu nutzen wir die unterschiedlichen Baumarten im Botanischen Garten.

Sind diese Vorgänge denn nicht schon längst erforscht?
Es gibt in der Tat schon mehrere Studien zu diesem Thema, doch die Frage, weshalb die Bäume diese Gase, deren Konzentration in der Atmosphäre ansteigt, aufnehmen, ist noch immer unbeantwortet. Wenn man über Treibhausgase spricht, denkt man ja zuerst an die CO2-Emmisionen. Grundsätzlich sorgen Bäume durch die Aufnahme von Gasen dafür, dass der Anstieg der Treibhausgase geringer ausfällt. Deshalb müssen wir uns darum bemühen, dass unsere Wälder gesund und funktionstüchtig bleiben.

Gibt es denn noch viele Dinge in der Natur, die wir Menschen noch nicht verstehen?
Ja, sehr viele! Und genau das ist das Beste an meiner Arbeit. Jede Frage, die wir irgendwann beantworten können, wirft wieder neue Fragen auf. Die Neugierde und die Faszination der Natur treiben mich an.

Der Botanische Garten soll neben seiner Aufgabe als Forschungsgebiet ja auch die Bürgerinnen und Bürger anlocken. Weshalb lohnt sich ein Besuch auf jeden Fall?
Ganz einfach: Hier ist es unglaublich schön. Wer sich in der Natur aufhält, der tut etwas für seine Gesundheit und sein Wohlbefinden. Und man kann etwas lernen, denn Schautafeln zeigen, über was im Botanischen Garten aktuell geforscht wird. Und natürlich kann man sich viel Wissen über unsere Blumen, Pflanzen und im Apothekergarten über heilsame Kräuter aneignen. Wir möchten die Vielfalt aufzeigen und die Besucher inspirieren, die Natur zu schätzen und zu schützen.

Wie verhält man sich denn richtig in der Natur?
Ein Tipp von mir: Man sollte nicht nur die Augen aufhalten, sondern auch seine Sinne öffnen. Vogelgezwitscher ist so viel schöner als Verkehrslärm. Man kann immer wieder verschiedene Düfte riechen und verschiedene Farben und Formen entdecken. Ich persönlich liebe Bäume ganz besonders. Deshalb ist auch der Naturwald im Botanischen Garten mein Lieblingsort. Wenn ich von Bäumen umgeben bin, fühle ich mich ganz einfach wohl.

Was fasziniert Sie denn so an Bäumen?
Weil sie dort, wo sie stehen mit so vielen unterschiedlichen Einflüssen klar kommen müssen wie Trockenheit, Regen, Krankheiten, Beschnitt oder Bebauungen in der Umgebung. Dennoch werden sie viele hundert Jahre alt. Sie können nicht einfach weglaufen, sondern sie passen sich ihrer Umgebung an und können ja sogar durch Betondecken hindurch wachsen. Bäume nehmen über kleine Wurzeln große Mengen Wasser auf und pumpen es bis zu einer Höhe von 30 Metern - sie sind doch wahre Wunderwerke!    

Woher stammt Ihre Leidenschaft für die Natur?
Ich bin auf dem Land aufgewachsen und war schon als Kind immer sehr gerne im Freien. Wir hatten keinen Fernseher, jedoch Natur pur in der nächsten Umgebung. Und dort zu sein, war immer ein Abenteuer. Schon damals hatte ich mich gefragt, weshalb die Dinge so sind wie sie sind. An der Universität hatte ich dann später das Fach Ökologie für mich entdeckt, denn mit der Wissenschaft konnte ich nun alle meine Fragen aus der Kindheit beantworten. Die Natur ist so komplex, doch wir Menschen machen sie kaputt.

Wie stark besorgt Sie der Klimawandel?
Ich bin im Grund ein positiv denkender Mensch. Doch wenn ich die Unfähigkeit der Gesellschaft sehe, sich zu ändern, werde ich manchmal schon sehr nachdenklich. Für viele Menschen ist das Thema trotz immer öfter auftretender Hitzewellen und Überflutungen einfach noch zu abstrakt. Wir werden den Wandel erst richtig spüren, wenn es zu spät ist. Doch wenn man die Zusammenhänge in der Natur wissenschaftlich erforscht, hat man das Problem stetig vor Augen.

Sie sind auch für die Kommunikation zuständig. Wie kann man die Forschung denn allen Menschen zugänglich machen?
In dem wir Neugier und Interesse an der Natur wecken und dennoch nicht schulmeisterlich sind. Belehrungen führen sehr oft zu Abneigung und Trotzreaktionen. Wir müssen Wege finden, wie wir die Forschung für die Bevölkerung zugänglicher und attraktiver machen können. Und wir müssen aufzeigen, wie relevant der Klimawandel für uns ist und was er für jeden Einzelnen persönlich bedeutet. Denn jeder Mensch wird ihn spüren.          

Stefan Loeffler


Prof. Dr. Emma Sayer 

ist in England geboren und aufgewachsen. Mit elf Jahren ging sie mit ihrer Familie in die Schweiz, schon damals war Biologie ihr Lieblingsfach in der Schule. Heute arbeitet die Professorin für Pflanzenökophysiologie, die in Bern ihren Mastertitel gemacht und in Cambridge promoviert hat, an verschiedenen Forschungsprojekten in Ulm und Panama. Seit Februar 2024 ist sie stellvertretende Leiterin des Botanischen Gartens und widmet sich der Wissenschaftskommunikation.  


Der Botanische Garten der Universität Ulm 

bietet das ganze Jahr über ein vielseitiges Programm aus interessanten Workshops, öffentlichen Führungen und inspirierenden Ausstellungen – inmitten einer faszinierenden Welt der Pflanzen, naturnahen Lebensräumen und Gewächshäusern.

Das Grüne Klassenzimmer bietet spannende Lernmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche. Der Botanische Garten ist nicht nur ein Ort der Erholung und des Lernens, sondern auch eine zentrale wissenschaftliche Einrichtung der Universität Ulm. Er dient als Forschungs- und Bildungsstätte und ermöglicht einen direkten Wissenstransfer in die Gesellschaft.

Das Freigelände ist vom 1. März bis 15. Oktober über alle Eingänge von 9 bis 20 Uhr geöffnet. Die Gewächshäuser sind für Besucher und Besucherinnen jeden Dienstag und Donnerstag von 13 bis 15 Uhr und jeden ersten Sonntag im Monat von 14 Uhr bis 17 Uhr geöffnet.