Offener Brief des AK Mobilität zur Radverkehrssituation in Ulm

Lesezeit
4 Minuten
Gelesen

Offener Brief des AK Mobilität zur Radverkehrssituation in Ulm

0 Kommentare

In einem offenen Brief an die Fraktionen des Ulmer Gemeinderats, die Verwaltung und die Presse stellt der Arbeitskreis Mobilität der lokalen agenda ulm 21 einen 10-Punkte Katalog mit Forderungen für einen schnellen Ausbau der Fahrradinfrastruktur auf.

Sehr geehrte Damen und Herren Stadträtinnen und Stadträte,

am 14.07.2020 hat der Fachbereichsausschuss Stadtentwicklung, Umwelt und Verkehr des Ulmer Gemeinderats in der Debatte um den Einwohnerantrag Radverkehr eine bis 2025 angestrebte Erhöhung des Radverkehrsanteils am Modal Split auf 25 Prozent beschlossen. Wir haben erfreut zur Kenntnis genommen, dass diesem Thema im Rat eine hohe Bedeutung beigemessen wird. Bisher folgten diesem Ziel allerdings noch wenig konkrete Schritte. In den vergangenen 10 Jahren seit Gründung des Aktionsbündnisses „FahrRad in Ulm“ konnte der Radverkehrsanteil von 11 Prozent im Jahr 2015 lediglich um geschätzte 1-2 Prozentpunkte angehoben werden. Gleichzeitig steigt die Neuzulassung privater Kfz in Ulm kontinuierlich an. Zur Erreichung des 25-Prozent-Ziels ist demnach eine Verdopplung des Radverkehrs in den nächsten 4 Jahren erforderlich! Angesichts dieser ambitionierten Zielvorgabe vermissen wir eine angemessene Handlungsweise in Politik und Verwaltung.

Befragungen wie der ADFC Fahrradklima-Test ergeben: „Menschen fühlen sich beim Radfahren nicht sicher. Der Ausbau der Radwege kommt über die Jahre kaum voran. Und der Radverkehrsanteil ist in zehn Jahren nur minimal gestiegen“. Etwa die Diskussion um die Münchner Straße zeigt, dass die Umsetzung politischer Vorgaben oft an konkreten Maßnahmen scheitern, zumindest aber sehr lange dauern. Eine Umschichtung auf den Umweltverbund kann nur gelingen, wenn der MIV entsprechend weniger Raum in der Stadt erhält und die Alternativen auch finanziell attraktiver werden. Dies ist auch im kommunalen Handlungsprogramm Mobilität so formuliert. Vor dem Hintergrund der Klima-Problematik ist sofortiges Handeln erforderlich, denn wir haben nicht nochmals 10 Jahre Zeit. Deshalb fordern wir:

  1. Masterplan Radverkehr
    Um die Radverkehrsziele der Stadt Ulm zu realisieren, reicht es nicht aus, über Einzelmaßnahmen zu diskutieren. Es muss einen „Masterplan Radverkehr“ als Teil des Kommunalen Handlungsprogramms Mobilität (GD 172/21 vom Juni 2021) geben, in dem entsprechend des Hauptroutennetzes die Maßnahmen priorisiert und ein Zeitplan mit entsprechenden Meilensteinen aufgestellt werden, die regelmäßig zu überprüfen sind. An den Schnittstellen zu Neu-Ulm müssen gemeinsame Lösungen erarbeitet werden. Der Plan sollte auf dem 2016 erstellten Fahrradentwicklungskonzept aufbauen. Außerdem prüfen, ob eine Realisierung als „Klimamobilitätsplan“ nach § 7f des Klimaschutzgesetzes BW sinnvoll ist.
     
  2. Minimalstandards
    Ulm braucht städtische Vorgaben für Minimalstandards der Radverkehrs-Infrastruktur, die sich an der ERA (Epfehlungen für Radverkehrsanlagen) orientieren. Diese beinhalten z.B. Minimalbreiten von Schutz- und Radfahrstreifen sowie baulich getrennte Radverkehrsanlagen an Verkehrsachsen, die eine bestimmte Verkehrsdichte überschreiten. Ein sicherer Überholabstand (min. 1,5 m) muss bei allen Radverkehrsanlagen gewährleistet sein. Nur so lässt sich eine Infrastruktur schaffen, mit der sich alle Verkehrsteilnehmer*innen, insbesondere Kinder, Jugendliche und Ältere, sicher fühlen.
     
  3. Fahrrad-Beirat
    Bereits bei der Gründung des Bündnisses „FahrRad in Ulm“ im Jahr 2011 wurde die Einrichtung eines Fahrrad-Beirats beschlossen. Diesem gehören Mitglieder der Fraktionen, die Fahrradbeauftragten sowie gewählte Vertreter*innen von Organisationen und der Bürgerschaft an, die im Bündnis vertreten sind. Seit 2011 tagte der Fahrrad-Beirat nur sehr selten, seit 2015 ruht er ganz. Wir fordern die umgehende Reaktivierung des Beirats durch Neuwahlen sowie einen Turnus von mindestens halbjährlichen Sitzungen. Einmal im Jahr soll der Beirat im Fachbereichsausschuss Stadtentwicklung, Bau und Umwelt berichten. Eine Aufwertung zu einem Mobilitätsbeirat ist zu überlegen, um der Komplexität der Aufgabe gerecht zu werden. Dann könnte der gesamte Umweltverbund sowie das Thema E-Mobilität mit einfließen.
     
  4. Fahrradgerechte Verkehrsplanung
    Wir fordern eine verbindliche Verwaltungsvorschrift, die bei allen Verkehrsprojekten von Anfang an die Einbeziehung von Radverkehrs-Planern sicherstellt. Deren Einwände sind zur berücksichtigen. Zudem sind alle städtischen Abteilungen dahingehend zu instruieren, dass sie Radverkehrsbelange ausreichend berücksichtigen. Bei der Ausweisung neuer Fußgängerzonen sollten diese nicht pauschal für den Radverkehr gesperrt werden, da dies die Attraktivität des Fahrrads als schnellstes innerstädtisches Verkehrsmittel stark einschränkt. Der Fahrrad/- Mobilitäts-Beirat soll ein Vetorecht für Verkehrsplanungen erhalten, um Planungen, die die Ziele des Kommunalen Handlungsprogramms Mobilität gefährden, verhindern zu können. 
     
  5. Monitoring
    Die Erhebung von Radverkehrszahlen muss ausgeweitet werden. Die letzten öffentlichen Daten zum Modal Split beruhen auf Zählungen in den Jahren 2016/2017. Auf diese Weise lassen sich Veränderungen des Verkehrsverhaltens nicht adäquat nachweisen. Wir fordern eine jährliche Veröffentlichung der Daten. Soweit keine offiziellen Daten öffentlicher Stellen bzw. Institute vorliegen, soll die Stadt eigene erheben. Dies ist im Rahmen der derzeitigen technischen Möglichkeiten mit vertretbarem Aufwand möglich (s. Dauerzählstelle an der Lupferbrücke, Projekt der Zukunftsstadt).
     
  6. Controlling
    Um den Stand der Zielerreichung bez. des Kommunalen Handlungsprogramms Mobilität (bzw. eines Masterplans Radverkehr) zu überprüfen, muss eine Controlling-Instanz eingerichtet werden, die jährlich den Sachstand ermittelt und öffentlich macht. Bei größeren Defiziten muss in geeigneter Weise nachgesteuert werden (finanziell und personell).>
     
  7. Mehr Mittel für den Radverkehr
    Es ist erfreulich, dass der Radverkehrsetat der Stadt Ulm auf 1 Million Euro aufgestockt wurde. Dies ergibt einen Wert vn ca. 8 Euro pro Einwohner*in und Jahr. Allerdings kann der volle Betrag mangels Planungskapazitäten oft nicht abgerufen werden. In den Niederlanden investieren Städte im Schnitt 30 Euro pro Einwohner*in in den Radverkehr und konnten damit einen sehr hohem Radverkehrsanteil erreichen (z.B. Amsterdam 38% oder Groningen 50%). Durch die konstant verbesserte Infrastruktur sehen viele Bürger*innen im Radfahren eine Alternative und steigen aufs Rad um. Daher setzen wir uns für einen Radverkehrsetat von 3,5 Millionen Euro für die Stadt Ulm ein sowie für die Schaffung entsprechender Personalkapazitäten, um einen zeitnahen Abfluss der Mittel zu gewährleisten. Derzeit sind viele Förderprogramme des Landes und des Bundes ausgeschrieben, die den kommunalen Anteil dabei erheblich reduzieren können.
     
  8. Öffentliches Fahrrad-Verleihsystem
    Wir finden uns nicht damit ab, dass es in Ulm mittelfristig aus finanziellen Gründen keinen öffentlichen Fahrrad-Verleih geben soll. Um auch Gästen und Umsteigern niederschwellige Fahrten mit dem Rad zu ermöglichen, fordern wir die Einrichtung eines kommunalen Fahrradverleihsystems der Städte Ulm und Neu-Ulm zumindest an den wichtigsten Mobilitäts- bzw. Umsteigepunkten. Dieses sollte auch Pedelecs und E-Lastenräder anbieten.
     
  9. Genügend Fahrradstellplätze am Hauptbahnhof und in der City
    Derzeit bleibt unklar, wie viele Fahrradstellplätze am Hauptbahnhof zur Verfügung stehen werden, wenn der Umbau abgeschlossen ist. Ob das bereits zugesagte Fahrradparkhaus umgesetzt wird, ist uns nicht bekannt. Wir fordern daher ein Minimum von 1.500 Stellplätzen am Bahnhof, möglichst in einem abgeschlossenen Bereich, wo eine sichere Unterbringung möglich ist. Eine Option auf Erweiterung muss offen gehalten werden. Auch an den Straßenbahn- und Bushaltestellen, Einkaufszentren sowie Behörden mit Publikumsverkehr muss eine adäquate Zahl (mindestens eine Verdopplung im Vergleich zum aktuellen Stand) zeitgemäßer Fahrradstellplätze eingerichtet werden. Die bestehenden Fahrradständer sind an zentralen Punkten regelmäßig überfüllt.
     
  10. Sicheres Radfahren für alle
    Um eine signifikante Steigerung des Radverkehrsanteils zu erreichen, muss eine Infrastruktur aufgebaut werden, mit der sich alle Verkehrsteilnehmer*innen, insbesondere Kinder, Jugendliche, Ältere und Fahranfänger*innen sicher fühlen. Hierzu gehören eine Vielzahl von Maßnahmen wie Platz für sicheres Überholen (min. 1,5 m), geschützte und durchgängige Radfahrstreifen, übersichtliche Kreuzungsbereiche, die weiträumig von parkenden Pkw freigehalten werden, die ab 2022 verpflichtenden Abbiegeassistenten bei Lkw oder eine entsprechende Sensibilisierung der Autofahrenden (nicht nur in Fahrschulen). Dem Thema sicherer Schulweg sollte dabei Priorität eingeräumt werden.

AK Mobilität und Vorstand der lokalen agenda ulm 21
 

Mitunterzeichnende
ADFC Ulm/Neu-Ulm
BUND Kreisverband Ulm
Fridays for Future Ulm
Gemeinwohlökonomie Ulm
People and Parents for Future
Psychologists for Future
ulm isst gut
Ulmer Netz für eine andere Welt
Ulmer Initiativkreis nachhaltige Wirtschaftsentwicklung
VCD Ulm
sowie zahlreiche Einzelpersonen aus den genannten und weiteren Organisationen