52,5 Millionen Euro für eine Brücke, ein Fest mit einem Schatz und das Schicksal: Lage, Lage, Lage
Ein, zwei Generationen weiter werden Neu-Ulmer und Ulmer vielleicht genau hier stehen, an der Gänstorbrücke, und auf einen Schatz stoßen. Wenn sie dann ihrerseits die Brücke erneuern, die dann in die Jahre gekommen sein könnte. Diese Brücke, die jetzt, geplant vom Berliner krp-Architekturbüro, bis Ende 2027 an dieser Stelle über die Donau gespannt sein soll. Für 52,5 Millionen Euro.
An diesem Tag Ende Juli stehen viele wichtige Menschen zusammen und steuern etwas für diese Schatzkiste in Form eines Hohlziegels aus Beton bei. In seinen Bauch wandern der Neu-Ulmer Wasserturm als Schlüsselanhänger; ein Meterstab und ein kleiner Plüsch-Spatz; ein USB-Stick in Form eines Münsterturms mit allen wichtigen Daten der Brücke… und der Projektverantwortliche der Stadt Ulm zieht kurzerhand seine Armbanduhr aus, entfernt noch schnell die Batterien und packt sie in den Ziegel: „Damit auch in Zukunft jeder weiß: Die Bauarbeiten für die neue Gänstorbrücke haben offiziell um 14.30 Uhr begonnen.“ Die Zuschauer sind begeistert. Jetzt verschließt er mit frischem Mörtel den Stein. Applaus, Applaus! Es ist der Grundstein der neuen Brücke zwischen Augsburger-Tor-Platz und Maritim-Hotel.
Drei Jahre lang werden die aufwendigen Arbeiten zum Abbau der alten und Bau der neuen Brücke dauern. Sie darf nicht gesprengt werden, hat das Wasserwirtschaftsamt verboten. Das ginge natürlich schneller und wäre günstiger. Der Neubau kostet nämlich statt der geplanten 20 Millionen Euro nun rund 52 Millionen Euro. Erst wurde er letztes Jahr doppelt so teuer, dann hieß es im Frühjahr, es kämen nochmal zwölf Millionen obendrauf. Unter anderem wegen eines Gutachtens zum Baugrund und wegen der Planung, die teurer geworden ist. Die beiden Städte teilen sich die Kosten, jeder zahlt sechs Millionen Euro. Das Land Bayern steuert 18,8 Millionen Euro bei, Baden-Württemberg elf Millionen Euro.
Fast 28.000 Fahrzeuge passierten in der Vergangenheit täglich die knapp hundert Meter breite Brücke über die Donau. Eine der drei Ulmer Innenstadtbrücken, die Neu-Ulm mit Ulm verbindet. Bayern mit Baden-Württemberg. Seit 75 Jahren spannt sich die aktuelle Gänstorbrücke hier über den Fluss. Angedockt an die beiden steinernen Bastionswände ihrer Vorgängerbrücke. Die wurde vor dem ersten Weltkrieg, 1912, aus mit Muschelkalksteinquadern verkleidetem Beton gebaut und kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs durch deutsche Pioniere gesprengt. Die dann - nach dem Krieg - erbaute Gänstorbrücke von Ulrich Finsterwalder spiegelte „den Geist des Wirtschaftswunders, den Glauben an technische Lösungen, Zukunftsvertrauen durch Einsatz neuester Techniken und Materialien wider“, wie das nun für die Nachfolgerbrücke betraute Architekturbüro lobt. „Es war damals eine der ersten Spannbetonbrücken Deutschlands“. Und eine superschlanke.
Beton-Stahl-Konstruktionen - gemacht für die Ewigkeit!, dachte man damals wie überall auch in Ulm. Heute weiß man: Leider nein. Deshalb müssen in Deutschland in den nächsten Jahren sämtliche Brücken aus dieser Zeit erneuert werden. Die Brücken bekamen, Wind und Wetter ausgesetzt, Risse. Feuchtigkeit drang ein und griff die Stahlträger an. Bis zur Landesgartenschau 2030 soll die Ulmer Adenauer-Brücke ersetzt sein, über die die B10 führt. Die Wallstraßenbrücke beim IKEA-Kreisel soll bis 2029 fertig sein.
Den Auftakt macht nun die Gänstorbrücke - vom Aussehen her ähnlich schlicht und schlank - und langweilig? - wie ihre Vorgängerin. Sie soll je einen Gehweg, eine Radspur und eine Autospur in beide Richtungen bekommen. Außerdem eine Bus- und eine Straßenbahnspur.
Der Bau der neuen und der Abbau der alten Brücke sollen stückweise erfolgen, sodass der Verkehr aufrechterhalten werden kann, verspricht die Stadt Ulm. Während eine Seite der alten Brücke abgerissen werde, könne der Verkehr auf der anderen Seite fließen. Zeitgleich werde der erste Strang des Neubaus errichtet. Die Brücke soll also weiterhin genutzt werden können, aber eben eingeschränkt. Schon jetzt kehrt der Bus der Linie 7 an der Kasernstraße in Neu-Ulm um, anstatt weiter bis zu seiner Haltestelle am Willy-Brandt-Platz zu fahren. Auch für Fußgänger und Radler wird die Brückenpassage eingeschränkt sein. Nur Fahrzeuge, die höchstens 2,20 Meter breit sind, dürfen in den nächsten Jahren drüber. Rettungskräfte müssen deshalb teilweise auf die Herdbrücke ausweichen. Der Donauradweg ist auf der Ulmer Seite ab dem Bootshaus gesperrt. Radler müssen stattdessen entlang der Neuen Straße bis zum Maritim fahren. Auf der Neu-Ulmer Seite werden Radler teils über Augsburger Straße und Augsburger-Tor-Platz geleitet.
Drei Jahre Dauerbaustelle. Die Neu-Ulmer Bürgermeisterin Katrin Albsteiger bittet Bürgerinnen und Bürger aber vor allem auch Anwohner „an der ein oder anderen Stelle die Zähne zusammen zu beißen“. Sie sagt, sie müssen „die Baustelle leider ertragen“ und bedankt sich für deren „Verständnis und Wohlwollen“ schon mal vorab. Beim Fest der Grundsteinlegung sitzen ein paar von ihnen auf Bierbänken und werden immerhin mit gratis Kässspatzen, Würstchen, afrikanischem Essen, Eis und Kaffee milde gestimmt. Während auf der großen Bühne Politikerinnen und Politiker ihre Reden schwingen - mit allem, was ihnen zum Stichwort „Brücke“ so grundsätzlich eingefallen ist. Davor und danach gibt’s Blasmusik.
Andrea Benk, 57, wohnt direkt neben der Baustelle, auf der Neu-Ulmer Seite, mit Blick zur Donau. Sie habe schon an einen Umzug gedacht, gibt sie zu. „Nix wie weg, war meine Reaktion, als ich die ersten Infos zur Baustelle hatte. Aber es ist einfach zu schön hier und ich liebe meine Wohnung. Deshalb habe ich beschlossen, durchzuhalten.“ Sie lacht. Seit zwanzig Jahren wohnt sie in ihrer Wohnung. Zum ersten Mal freue sie sich nun, noch nicht in Rente zu sein. Weil sie jeden Tag von 7 Uhr bis 18 Uhr arbeiten gehen kann. In der Zeit, in der die Bauarbeiter ihrerseits vor ihrem Fenster arbeiten. „Es wird laut, das kann man sich vorstellen, wenn man 26 Meter tiefe Löcher gräbt.“ Aber sie fügt hinzu: „Wir kriegen das schon irgendwie rum. Und es ist ja Gottseidank so, dass sie Samstag und Sonntag nicht arbeiten.“ Vorbildliche Bürgerin.
Ludmilla Mass, 71, wohnt mit ihrem Mann Wilhelm auf der Ulmer Seite, 1A-Lage, 1. Reihe, Erdgeschosswohnung, die nächsten drei Jahre: beste Aussicht auf Bagger und Presslufthammer. „Die Stadt wollte uns eine Lärmschutzwand bauen (direkt vors Fenster). Aber wir haben gesagt: Nein, nein, nein… Drei Jahre eine Wand, da wäre es ja drei Jahre lang dunkel in unserer Wohnung. Wir halten das lieber so lange aus.“ Und winkt trotzdem kurz darauf ab: „Die Vibrationen!“, vom Presslufthammer… Da werden wohl künftig die Gläser aus dem Schrank und sie morgens um 7 Uhr aus dem Bett fallen. Aber auch das Rentnerpaar demonstriert Vernunft: Die neue Brücke sei eben wichtig.
Das ein bisschen Gute daran: Die nächsten Jahre wird es, was den Autoverkehr angeht, weniger Lärm und Abgase vor ihrem Fenster geben. Es können ja keine knapp 30.000 Autos täglich drüber, über die Baustelle. Und LKW dürfen gar nicht. Also: Fenster auf und genießen!
Isabella Hafner