Einblicke in die Rammelkammer

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Einblicke in die Rammelkammer

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Ein Blick in die Zukunft ist ja immer etwas ungewiss. Viele malen sie sich grün aus, die anderen sehen düster und trockene karge Landschaften. Doch der Wald lebt und wird es auch weiterhin tun. Wie, das verriet Max Wittlinger im vollbesetzten m25.

Die Stadt mag ja oftmals behaupten, sie hätte kein Geld. Bäume hat sie. „78 kommen auf jeden Einwohner“, rechnet Max Wittlinger bei seinem Referat vor, das er im Rahmen der Ausstellung „25 Jahre Lokale Agenda“ im Ulmer Ausstellungsraum m25 hielt. 
Insgesamt gibt es im Stadtkreis 2.800 Hektar Waldgebiete: „1.300 Hektar gehören der Stadt, der Rest dem Land, dem Bund und ist Privatbesitz.“ 

Doch wie wird das in Zukunft sein? „Was macht der Klimawandel mit unserem Wald? – so das Thema des Oberforstrats der Stadt Ulm. Eines wurde schnell klar: Der Wald muss kämpfen. Und wir mit ihm. Und für ihn. Immer mehr. Und zwar gegen Stürme, Trockenheit und Schädlinge. 

Hoch, aber nicht ganz so brisant wie in anderen Bundesländern sei dabei die Waldbrandgefahr, so der Leiter der Unteren Forst- und Landwirtschaftsbehörde: „In Brandenburg brennt es öfter als bei uns in Baden-Württemberg, da es dort überwiegend Sandböden gibt, die im Sommer austrocknen. Unsere Wälder sind dagegen durch eine grüne, üppige Bodenvegetation etwas geschützter, da sie sich nicht so schnell entzündet.“

Vom Brotbaum zum Sturmholz

Klimawandel bedeute jedoch nicht nur Hitze und Trockenheit, sondern mitunter auch ordentlich Starkwind. Gerade Fichten, die mit ihren flachen Wurzeln keinen guten Halt haben und nicht genügend Wasser aus dem Waldboden saugen können, knicken dann reihenweise um. „Früher galten die Fichten als Brotbäume. Denn ihr gutes Bauholz sicherte vielen Menschen ihr Einkommen.“ Die Zeiten sind vorbei, denn die Fichten verabschieden sich allmählich aus der Natur.

Doch den größten Schaden richtet ein ganz Kleiner an. Ein Winzling, der sogar ziemliche Riesen zu Fall bringt: der Borkenkäfer. Deshalb, so Wittlinger, sei Monitoring wichtig, sprich die gezielte und regelmäßige Suche nach dem Schädling: „Allerdings können wir nicht jeden einzelnen Baum untersuchen.“ Ein Merkmal für einen befallenen Baum ist ganz feines Mehl am Stammfuß, das entsteht, wenn sich der Borkenkäfer in den Stamm bohrt. Nach feuchten Phasen sind die Bäume dem Schädling nicht per se schutzlos ausgeliefert. Max Wittlinger: „Mitunter können sich Bäume wehren und bilden Harztröpfchen, in denen die Käfer ertrinken.“ Setzen sie sich allerdings durch, dann werden die Bäume dürr, verlieren Nadeln und später auch die Rindenhäute. 

Wird es immer heißer, finden auch immer mehr Schädlinge ihren Weg in unsere heimischen Wälder, darunter auch der Japankäfer oder der asiatische Laubholzbockkäfer. Max Wittlinger: „Dann herrscht Alarmstufe Rot.“

Heimtückisches Brutsystem

Jeder Baum habe seinen spezifischen Borkenkäfer, so der 59-jährige Dipl.-Forstingenieur, der schon in jungen Jahren ein Praktikum beim Ulmer Forstamt absolviert hat. Bei der Fichte ist es der Buchdrucker, der sich in das Holz frisst und sogenannte Rammelkammern ausbildet, der zentrale Teil des heimtückischen Brutsystems. Ausgehöhlt werden sie von den Männchen, die dort ihre Weibchen begatten. Diese legen daraufhin ihre Muttergänge an, die alsbald voller fressender Larven sind. Mit enormen Ausmaßen. Ein befallener Baum bringe 20.000 Jungkäfer hervor, die dann wiederum 20 weitere Bäume befallen. Die Folge: 400.000 Jungkäfer und alsbald 400 befallene Bäume. Und so weiter, und so fort. Max Wittlinger: „Um eine weitere Ausbreitung zu verhindern, bleibt nur das Fällen der Bäume. Denn jeder Käferbefall ist das sichere Todesurteil des Gehölzes.“ Viel Zeit bleibt nicht, denn der Baum muss fallen, bevor sich die Käfer fertig entwickelt haben. 

Tropische Nächte sind nicht immer schön 

Begünstigt werden die Schädlinge von den hohen Temperaturen, also dem Klimawandel. Besonders die Sommernächte, in denen das Thermometer auf über 20 Grad klettert, kommen den Plagern zugute: „Wenn es kühl ist, machen die Tierchen Pause. In tropischen Nächten schaffen sie jedoch durch.“

Also: Wenn man einen Blick in die Zukunft wagt, dann sieht man auch weiterhin viel Grün mit immer mehr stabileren Laubhölzern. Dazu zählen unter anderem Ahorn, Linden, Hainbuchen, Elsbeere und Esskastanien, mit denen unsere Wälder seit den 1990er-Jahren aufgeforstet werden. Zum einen reichen ihre Wurzeln tiefer in den Untergrund, zum anderen bieten sie im Herbst und Winter - den klassischen Zeiten für Stürme - durch ihre abgeworfenen Blätter kaum Angriffsfläche. Das ist die gute Nachricht. Doch durch Fichtenwälder werden wir Menschen im Jahr 2100 wohl nicht mehr spazieren. 

Stefan Loeffler