"Kultur ist Kreativität in reinster Form"

Lesezeit
5 Minuten
Gelesen

"Kultur ist Kreativität in reinster Form"

0 Kommentare

Sie erklimmt gerne Gipfel und stürmt gerne auch die Burg. Seit 2017 leitet Sabine Schwarzenböck, privat eine leidenschaftliche Bergwanderin, die Abteilung Kultur der Stadt Ulm. Stefan Loeffler sprach mit der 47-Jährigen über die Vielfalt der hiesigen Kulturszene und auch darüber, weshalb Theaterstücke, Konzerte, Ausstellungen oder Podiumsdiskussionen so wichtig für ein starkes Miteinander in unserer Stadt sind.

Frau Schwarzenböck, der Begriff Nachhaltigkeit wird noch immer weitestgehend mit Umwelt- und Klimaschutz in Verbindung gebracht. Was hat er mit Kultur zu tun?
Wir haben mit Kultur und Kreativität in vielen gesellschaftlichen Herausforderungen die Chance als Wegbereiter aufzutreten. Damit können wir auch erreichen, dass sich Menschen mit gesellschaftlich relevanten Themen beschäftigen, die in ihrem Alltag sonst eher keine Rolle spielen. Zum Beispiel kann man beim Spielen mit Kindern durch Upcycling aufgewertetes Bastelmaterial verwenden und so das Thema Verantwortung für die Umwelt spielerisch einfließen lassen. Kultur hat in erster Linie also nicht ausschließlich mit Unterhaltung zu tun, sondern bietet die Möglichkeit in der Gesellschaft nachhaltig geprägte Strukturen und Werte zu vermitteln und zu verankern.

Helge Majer, der Gründer des Ulmer Initiativkreis nachhaltige Wirtschaftsentwicklung (unw) hatte schon vor Jahren vorgeschlagen, die drei Aspekte der Nachhaltigkeit Ökologie, Ökonomie und Soziales durch eine vierte Säule Kultur zu ergänzen. Hat er recht?
Darüber lohnt es sich auf jeden Fall zu diskutieren, denn hier gibt es eine Reihe von Aspekten, die dafürsprechen. Die Kultur ist wie eine Klammer, die die drei Säulen umschließt, da sie die Pfeiler Ökologie, Ökonomie und Soziales thematisch abdecken kann und muss. Bei unserer Veranstaltung „Stürmt die Burg“ achten wir zum Beispiel auf umweltfreundliche Anreisemöglichkeiten und fördern so nachhaltiges Verhalten ganz praktisch.

Welche Rolle spielt der soziale Aspekt der Nachhaltigkeit dabei? 
Er erweitert den Blickwinkel enorm – allein schon bei der Veranstaltungsplanung. Es ist wichtig, dass wir in Bezug auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt konsequent verschiedene kulturelle Hintergründe mit einbeziehen. Diese Einflüsse bereichern und prägen dann wiederum unsere Veranstaltungen, machen sie - im besten Sinne - bunter.  

Eine wichtige Aufgabe ist es wohl auch, dass die Kultur zum eigenen Handeln motiviert, auf die Umwelt zu achten?
Für mich ist der „ökologische Handabdruck“ ein spannender Ansatz, weil er positives Handeln sichtbar macht und befördert. Während der „ökologische Fußabdruck“ die negativen Umweltauswirkungen unseres Konsums und Lebensstils misst, achtet man bei dem Konzept Handabdruck mehr darauf, was bereits schon im positiven Sinne im laufenden Betrieb auf das Konto der Nachhaltigkeit einzahlt. Man darf dabei ruhig auch von anderen abschauen und überlegen, was man gemeinsam bewegen kann. Dieser Ansatz fördert den Austausch untereinander, denn die Kultur- und Kreativszene unterliegt ja in der Regel einem engen finanziellen Korsett.

Was gibt es hier für Beispiele?
Das könnte ein kleines Theater sein, das seine Flyer bereits auf umweltfreundlichem Papier druckt und seine Spielstätte an einem Ort hat, der mit dem ÖPNV gut zu erreichen ist. Zudem erstattet es einen Euro Ermäßigung für alle Besucher und Besucherinnen, die Bus oder Straßenbahn zur Anreise genutzt haben. Diese Ansätze befördern vorbildlich, die Lust der Menschen, sich noch mehr einzusetzen. Hier ist die freie Kulturszene oftmals schon viel weiter oder agiler als städtische Einrichtungen, die längere Vorlaufzeiten und mehr Auflagen zu beachten haben.

In welcher Form kann Kultur auch über Umweltprobleme aufklären und unseren Umgang mit der Natur beeinflussen?
Sie kann als Plattform und Kommunikator dienen. Zum Beispiel hatten wir bei unserem Projekt „Open Tower“, mit dem wir den Kehlturm der Wilhelmsburg als lebendigen Treffpunkt der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hatten, auch die Ulmer Entsorgungsbetriebe EBU als Partner dabei. Die Kolleginnen und Kollegen haben mittels einer Ausstellung viele Beispiele gezeigt, wie man Dinge re- und upcyclen kann - inklusive eines kleinen Secondhand Flohmarkts - und so auf die Probleme der Abfallwirtschaft in einer Konsumgesellschaft hingewiesen.  
Ein Paradebeispiel hierfür wird natürlich die Landesgartenschau 2030 sein. Ihre Fläche, die sich als grünes Band von der Wilhelmsburg zur Donau ziehen wird, verbindet die Aspekte einer sozialen und umweltfreundlichen Stadt auf sehr attraktive Weise.  

Man merkt, dass der Begriff Kultur unter den bereits genannten Aspekten sehr weitgefächert ist. Wie ist Ihre Definition?
Für mich bedeutet Kultur Kreativität in ihrer reinsten Form. Die Frage „Was ist Kultur?“ ist ja seit Jahren Grundlage - nicht nur - wissenschaftlicher Auseinandersetzung und Forschung. Wir arbeiten in unserer Abteilung zum Beispiel mit einem sehr weiten Kulturbegriff.

Und doch denken viele Menschen dabei überwiegend an Theater, Konzerte und Museumsrundgänge.
Auch Kochkunst ist Kultur, denn kochen erfordert Kreativität. Wenn das „Museum Brot und Kunst - Forum Welternährung“ in einem Workshop gemeinsam Brot backt, ist das bereits Kulturvermittlung. Und wenn die Zutaten noch selbst angebaut werden, ist der Umweltaspekt ebenfalls integriert. Unsere Aufgabe als Kulturabteilung ist es also die Deutung des Begriffs zu weiten. Das funktioniert jedoch nicht, wenn man den Mitmenschen die eigene Definition aufdrängt. Man muss lernen zuerst zuzuhören und so herausfinden, was der Begriff für das Gegenüber bedeutet. Denn nur so bekommt man eine Diskussionsgrundlage auf Augenhöhe und das ist das, was wir als Gesellschaft brauchen.  Nur wenn man offen über Themen diskutiert, können wir uns kennenlernen.

Kultur kann nicht immer Antworten geben, jedoch Fragen aufwerfen. 
Ja genau, denn die Antworten sind ja immer individuell. Doch wenn es keine Frage gibt, kann es auch keinen Diskurs geben.

Welche Aufgaben übernimmt Ihre Abteilung als Kulturvermittler?
Ich sehe uns als Dienstleister, der Dinge anstoßen und ermöglichen kann und muss. Die hiesige Kreativszene ist reich gesegnet an Wissen und Erfahrungen und es ist unsere Aufgabe diese Vielfalt zu erhalten.  

Weshalb hat die Kultur in Ulm einen so hohen Stellenwert? 
Weil die Stadt Kultur und Kreativität als Mehrwert für eine lebenswerte Stadt definiert und in Kultur investiert. Wir haben das Glück, dass es eine gewachsene Kreativszene mit großem Zusammenhalt gibt, die sich stark für das Profil der Stadt interessiert und essentiell zur Verbesserung beiträgt. Deren erste Antriebsfeder ist nicht Selbstdarstellung, sondern der Wunsch in einer coolen Stadt etwas Cooles bewirken zu können. Dieser erweiterte Horizont der Kulturszene stellt einen riesigen Bonus für Ulm dar und ist auch die Basis, dass das Leben hier floriert.  

Die Kultur trägt zur Allgemeinbildung und zur Stärkung des Miteinanders bei. Wie gelingt es, dass möglichst viele Bürgerinnen und Bürger Zugang finden können?
Zuerst muss man lernen zuzuhören und vor Ort in die Lebenswelten der Menschen zu gehen, die per se noch keine Berührung mit Kultur haben. Zum Beispiel haben wir mit unserem dreirädrigen mobilen Kreativ-Labor, der Kulturhupe, die Chance niederschwellig Publikum zu erreichen. So können wir in den Stadtteilen oder auf dem Wochenmarkt mit einem kleinen Programm ganz unkompliziert ins Gespräch mit den Menschen vor Ort kommen. Mir hat bei dieser Gelegenheit einmal eine junge Muslimin gesagt, dass sie gar nicht wisse, ob sie mit Kopftuch ins Theater dürfe. Genau diese Barrieren müssen wir verstehen und wenn möglich auflösen.

Sie sind Bindeglied zwischen Stadtverwaltung und Kulturträgern und setzen durch verschiedene Aktivitäten eigene Impulse. Können Sie zwei Beispiele nennen?
Da ist zum einen unser Kultursommer auf der Wilhelmsburg. Dieses 2018 gestartete Projekt „Stürmt die Burg“, bei dem wir mit dem Pop-up-Space den Innenhof mit Live-Musik, True-Crime-Theater, Lesungen und Diskussionen, Kunst und einem Familienprogramm bespielen, hat sich grandios entwickelt. Zum anderem haben wir im vergangenen Jahr auch Kunst und Kultur auf den Lederhof gebracht, mit einer kleinen Bühne und Sprayer-Workshops. Es war deutlich zu sehen, wie sich das Klima an diesem Ort auf einmal verbessert hat, der ja immer wieder mit negativen Schlagzeilen aufhorchen lässt.  

Auf welches anstehende Projekt freuen sie sich am meisten?   
Auf sehr viele, aber ganz besonders auf die Ulmer Kulturnacht, die dieses Jahr ihr 25-jähriges Bestehen feiert. Dieses Jubiläum ist ein schöner Beweis dafür, wie gut und wertvoll der Zusammenhalt in der Ulmer Kulturszene ist.  

Wie würden Sie die Kulturszene der Stadt Ulm in drei Worten beschreiben?  
Offen, kreativ und empathisch.

Stefan Loeffler


Einladung zum Zukunftsforum 2025

Kultur | Wandel | Zukunft
Nachhaltigkeit gemeinsam gestalten

am 16. & 17. Oktober 2025 in der Pionierkaserne, Basteistraße, Ulm

Handeln statt Hoffen - Nachhaltigkeit in der Kultur gemeinsam gestalten. Wie gelingt es vom Wissen ins Handeln zu kommen? Welche Stärke hat die Kultur und was sind konkrete Hebel für einen positiven „Handabdruck“?

Im diesjährigen Zukunftsforum lädt die Kulturabteilung der Stadt Ulm Kulturschaffende, Veranstalter*innen und Kulturinstitutionen ein, gemeinsam Wege zu erkunden, wie Nachhaltigkeit im Kulturbereich gelebt und verankert werden kann. Im Fokus stehen Praxiswissen, Strategien und Workshops – u. a. zu:

  • Kreislaufwirtschaft und Managementsysteme für den Kulturbetrieb
  • Konzepte ökologischer Fußabdruck - positiver Handabdruck
  • Nachhaltigkeitskommunikation
  • Inspiration durch Good-Practice Beispiele
  • Diskussion, Austausch und Vernetzung

Kultur hat die Kraft, Wandel zu gestalten.
Zwei Tage. Volles Programm. Gemeinsam weiterdenken.