Es macht Spaß, eine eigene Meinung zu haben

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Es macht Spaß, eine eigene Meinung zu haben

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Am Ende war Ella Oswald überwältigt, stolz und unfassbar froh. Am Anfang rechnete die Mitorganisatorin der Kundgebung gegen Rechtsextremismus im Januar mit ein paar hundert Menschen – letztendlich versammelten sich 10.000 auf dem Münsterplatz. Ein starkes Zeichen, da s die 19-Jährige beflügelt, sich noch stärker für die Demokratie in unserer Stadt einzusetzen. agzente plus Redakteur Stefan Loeffler sprach mit ihr über Meinungsvielfalt, ihr persönliches Engagement, was sie aufrüttelt und was ihr Mut gibt.

Im Herbst vergangenen Jahres hast Du den Ring politischer Jugend (RPJ), der die Großdemo zu Beginn des Jahres organisierte, mit ins Leben gerufen. Was sind eure Ziele?
Unser erklärtes Vereinsziel ist es, junge Menschen für Demokratie zu begeistern und auch dafür, sich selbst zu engagieren. Selbst etwas zu machen. Das kann zum Beispiel sein, dass man sich in seinem Fußballverein für andere Leute einsetzt, das Wort ergreift. Aber ebenso wichtig ist es, sich politisch einzubringen. Und dabei ist es auch völlig egal, ob man einer Partei beitritt – wichtig ist, die Stimme auch in politischen Dingen zu erheben.

Wenn man sich für andere einsetzt, muss man oftmals Mut beweisen. Gehört das zur Demokratie dazu?
Demokratie erfordert Zivilcourage, gerade in der heutigen Zeit. Wir brauchen Menschen, die durch ihren Einsatz für andere dazu beitragen, die Demokratie zu stärken.

Im RPJ sind die Jugendorganisationen der SPD, der Grünen, der FDP und der Union die Mitglieder, nicht einzelne Personen. Kann man dennoch bei euch mitmachen, auch wenn man keiner Partei angehört?
Gerade nach unserer Kundgebung gegen Hass und Hetze der AfD im Januar haben sich immer wieder Menschen bei uns gemeldet. Klar kann man bei uns mitmachen, denn wir haben immer Aufgaben, da viele Projekte parallel laufen. Aber laut Satzung sind eben die Jugendorganisationen die offiziellen Mitglieder.

Trefft ihr euch regelmäßig?
Das ist abhängig von den jeweils aktuellen Projekten. Die Mitglieder sind ja zudem in ihren Jugendorganisationen aktiv. Für öffentlichkeitswirksame Beschlüsse halten wir Mitgliederversammlungen ab, denn hier müssen wir uns ja alle einig sein. Gerade eben, weil wir überparteilich sind. Und dennoch haben wir durchaus auch unterschiedliche Meinungen. Doch bei unserem gemeinsamen Ziel, die Demokratie zu stärken, können wir uns gut verständigen.  

Die Ampelkoalition ist oftmals ja sehr zerstritten. Wie wirkt sich die Uneinigkeit auf eure kommunale Arbeit aus?
Bundespolitische Themen wirken sich nicht wirklich auf unsere Arbeit auf kommunaler Ebene aus. Und das nicht etwa, weil sie uns nicht interessieren oder gar tangieren, sondern weil wir einen anderen Fokus auf unser Tun gelegt und wir uns auf den kleinsten gemeinsamen Nenner geeinigt haben. Und das ist die Demokratie. Statt zu streiten, nutzen wir unsere Synergieeffekte.

Bist Du mit allen Entscheidungen der Bundes-Grünen einverstanden?
Prinzipiell lebt eine Demokratie doch davon, dass ganz viele Menschen ganz viele Meinungen haben. So sehe ich das. Natürlich bin auch ich nicht mit allen Entscheidungen der Bundespolitik einverstanden. Das ist zwar schade, jedoch vollkommen in Ordnung. Deshalb schätze ich auch die Demokratie. Wenn man in einer Partei aktiv ist, dann muss man auch mit Kompromissen leben können.

Wie definierst Du den Begriff Demokratie?
Er steht für das Recht, mitentscheiden zu können. Max Frisch hat das einmal etwa schöner formuliert. Er sagte: Demokratie heißt, sich in seine eigenen Angelegenheiten einzumischen. Ich glaube, das ist sehr wahr. Wir müssen wählen gehen, denn dann übernehmen wir als Bürgerinnen und Bürger Verantwortung für uns alle. Demokratie ist ein Privileg. Und das müssen wir nutzen, denn sonst kann es in einer Gesellschaft sehr schnell gefährlich werden.  

Wie kann der demokratische Gedanke gestärkt werden?
Wichtig ist, dass Menschen an der Demokratie teilhaben können, dass man spürt, dass sie lebbar ist. Man sollte sich fragen, wie die Demokratie das eigene Leben beeinflusst, welche Vorzüge sie für jeden persönlich hat. Man muss erkennen, dass unser gesellschaftliches Leben ohne demokratische Strukturen drastisch anders verlaufen würde.  

Was bedeutet Vielfalt für Dich?
Gelebte Vielfalt ist für mich persönlich unfassbar wichtig. Dass nicht alle Menschen gleich sind, zum Beispiel andere Ansichten in vielen Dingen haben, ist für mich nicht gefährlich, sondern bereichernd. Vielfalt ist ein großer Teil von Demokratie.  

Wie kann man Jugendliche motivieren, politisch aktiv zu sein oder sich in der Gesellschaft zu engagieren? 
Die Formate, ob Podiumsdiskussion oder Gespräch, sind hier zweitrangig. Mich selbst hat am meisten gestärkt, dass man mir Vertrauen entgegengebracht hat. Wir müssen die Jugendliche dabei unterstützen, sich für die Dinge einzusetzen, die ihnen wichtig sind. Das müssen wir ganz vielen jungen Menschen ganz einfach zutrauen. Wir müssen sie ermutigen und sagen: Du schaffst das!  

Du bist sehr aktiv engagiert. Woher kommt diese politische Ader?
Ich wurde sehr stark durch den bundesweiten Schülerwettbewerb „Jugend debattiert“ geprägt, an dem ich mehrere Jahre während meiner Schulzeit teilgenommen habe. Das ist ein Live-Format, bei dem man in einer geordneten Diskussion unter Jurorenaufsicht über gesellschaftliche Themen eine Position zugeteilt bekommt, die man zu vertreten hat. Dabei muss man versuchen, sich in die Gedankenwelt anderer Menschen hineinzuversetzen. Auf diese Weise habe ich erfahren, wie sehr Diskurs und die Vielfalt an Meinungen bereichern kann. Ich betrachte es als meine persönliche Verantwortung, mich für die Zukunft einzusetzen. Deshalb bin ich eben politisch sehr interessiert. Und ich habe gespürt, dass es sogar Spaß macht, seine eigene Meinung zu vertreten.  

Was rüttelt Dich zurzeit am meisten auf?
Der Rechtsextremismus bereitet mir sehr große Sorgen, denn er bedroht unsere Demokratie. Dagegen müssen wir etwas tun.  

Was lässt Dich persönlich hoffen?
Das sind die vielen Begegnungen, die ich habe. Es sind vor allem die Gespräche mit anderen jungen Leuten, bei denen man spürt, dass wir noch immer eine Mehrheit sind, die sich für Demokratie einsetzt. Es gibt noch sehr viele Menschen, die bereit sind, sich einzumischen, mitzugestalten und einem so das eigene Engagement erleichtern. Das gibt mir Hoffnung.

Das A und O in unserer Gesellschaft ist also, dass wir miteinander sprechen?
Auf jeden Fall! Ohne das geht’s ja nicht (lacht).  

Vielen Dank für das Gespräch.    

Stefan Loeffler


Eine Stimme für andere sein

Ella Oswald ist in Ulm geboren, hat am Hans und Sophie-Scholl-Gymnasium Abitur gemacht und studiert derzeit in Konstanz Politik und Verwaltungswissenschaft. Ihr Ziel ist es eine Stimme zu sein für Menschen, die sich eben nicht trauen, ihre Stimme zu erheben. Privat ist sie am liebsten im Kreise von Freunden, mit denen sie sehr gern Kaffee trinken geht. Wenn es die knappe Freizeit erlaubt, geht sie joggen: „Das macht den Kopf frei“.