Regionale Versorgung für eine robuste Gesellschaft

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Regionale Versorgung für eine robuste Gesellschaft

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Die Ukraine als Kornkammer Europas ist als Lieferant von Getreide wackelig. Dort ist Krieg. Währenddessen hat das spanische Andalusien - der Gemüsegarten Europas - seit Jahren ein Wasserproblem. Weil es kaum mehr regnet und so viel draufgeht, um beispielsweise Tomaten und Erdbeeren zu erzeugen. Seit dem vergangenen Jahrhundert ist es „normal“ für uns, dass unsere Supermärkte gefüllt sind mit Waren aus aller Welt.

Doch lassen uns Krisen umdenken? Kann uns wieder mehr regionale Versorgung robuster machen, Frau Heisler?
Diese Krisen schärfen auf jeden Fall unser Bewusstsein dafür, dass wir weltweit eng vernetzt sind und dass das Vor- und Nachteile hat. Sie machen uns unsere Abhängigkeiten deutlich. Menschen fragen sich: Was wird bei uns überhaupt produziert und an welchen Stellen sind wir tatsächlich abhängig, wenn wir bestimmte Lebensmittel essen oder trinken wollen? 

Tomaten sind der Deutschen liebstes Gemüse. Sie werden das Jahr über durchgegessen, nicht nur in den Sommermonaten, wenn sie eigentlich Saison hätten. Mittlerweile kommen sie aber auch aus Belgien. Oft aus Gewächshäusern, in denen sie über mehrere Etagen wachsen, gezielt mit Wasser betröpfelt werden und ihre Nährstoffe dosiert aus Röhrchen bekommen. Sie schmecken sogar. Sehen Sie in solchen Hydrokulturen die Zukunft, um nachhaltig Tomaten essen zu können?
Die Produktionsbedingungen werden sich zunehmend verändern, gerade wenn man an den Wasserverbrauch denkt. Und sicherlich werden in manchen Ländern Tomaten oder Gurken nicht mehr in dem Umfang angebaut werden können, wie das bisher geschehen ist. Laut Umweltbundesamt ist die Lebensmittelproduktion mit der Ernährungswirtschaft, also dem vor- und nachgelagerten Bereich zur Landwirtschaft, zu 16 Prozent für die Treibhausgasemissionen verantwortlich. Einerseits bemühen sich die Lebensmittelproduzenten immer mehr darum, nachhaltiger anzubauen und diesen Effekt zu verringern. Andererseits verändern sich auch die Anbauregionen durch das veränderte Klima: Wir werden in Deutschland künftig mehr Produkte anbauen, die bisher eher in Südeuropa gewachsen sind.

Welche Produkte können das sein? Können wir etwa Tomaten aus Spanien, Melonen aus Marokko oder Kiwis aus Italien oder gar aus Neuseeland durch eigenen Anbau kompensieren? Zumal beispielsweise eine Melone in Marokko 1200 Liter Wasser braucht, um zur Melone zu werden…
Für mich ist vor allem die Frage: Wie sieht unser Konsumverhalten in Zukunft aus? Welche Lebensmittel kaufen wir ein? Brauche ich wirklich eine Melone, die in einer wasserarmen Region angebaut worden ist? Brauchen wir bestimmte Lebensmittel das ganze Jahr über? Ich glaube gleichzeitig, dass wir als Gesellschaft in unserer globalisierten Welt nicht gänzlich auf Produkte aus anderen Weltregionen verzichten möchten, wie Bananen oder Orangen. Es gibt aber auch hier bei uns schon Landwirte, die versuchen, Produkte anzubauen, die wärmere Temperaturen benötigen, wie Melonen oder Paprika. Es geht allerdings auch um Konkurrenzfähigkeit und darum, was der Konsument tatsächlich bereit ist, zu welchem Preis zu kaufen. Eine Melone aus Deutschland wird im Vergleich zu einer aus Marokko vermutlich im Geschäft mehr kosten.

Aber möglich wäre es, Melonen hier anzubauen?
Ja, Melonen werden zum Beispiel in den ostdeutschen Bundesländern vermehrt angebaut, erste Ansätze gibt es auch in Baden-Württemberg oder Bayern. Die Experimentierfreude, der Anbau neuer Produkte hängt aber immer von den einzelnen Landwirtinnen und Landwirten ab, die mal in ein neues, innovatives Produkt einsteigen möchten und Anbau und Vermarktung einfach mal im kleinen Maßstab versuchen. 

Welches Obst oder Gemüse hat in Ihren Augen sonst noch Potenzial, in Deutschland angebaut statt extra eingeflogen zu werden?
Es werden zunehmend Hülsenfrüchte angebaut – zwar noch der überwiegende Teil als Futtermittel, aber auch als Nahrungsmittel für Menschen kommen sie stärker in den Blick. Gerade auch wegen der Diskussion um Nachhaltigkeit und einem damit verbundenen geringeren Fleischverbrauch: egal, ob es Linsen sind oder Kichererbsen, Lupinen oder Bohnen. Die Eignung als wichtiges Nahrungsmittel wird oft noch unterschätzt, da ist mit Sicherheit noch viel Potenzial. Aber auch Pseudogetreidearten wie Hirse, Quinoa, Amaranth und Buchweizen werden mehr und mehr bei uns in Deutschland angebaut, ebenso Heidelbeeren und Himbeeren. Doch manche Produkte, wie Pseudogetreide, sind bei uns noch ein Nischenprodukt.

Warum?
Weil Anbau, Ernte, Aufarbeitung, Reinigung oder Vermarktungsmöglichkeiten sich teilweise erst noch entwickeln müssen. Und natürlich ist es auch eine Sache der Nachfrage und des Preises. Manches kostet hier einfach das Doppelte.

Doppelt so viel an der Kasse hinzulegen, ist eine Überwindung. Selbst mit viel Wohlwollen. Könnten die Preise sinken, wenn etwa die Nachfrage stiege, die Erntemaschinen besser würden oder Bauern mehr in die Direktvermarktung gingen?
Über technische Entwicklungen kann sich da sicherlich einiges tun, ebenso, wenn Produkte in größerem Stil angebaut werden. Aber es liegt vor allem an den im internationalen Vergleich hohen Lohnkosten. Am Ende können für Verbraucherinnen und Verbraucher aber auch andere Faktoren entscheidend sein: Wie frisch sind die Produkte? Wurden diese regional produziert? Wo soll die Wertschöpfung geschehen? Ist es mir wichtig, dass die Landwirte hier ihr Auskommen haben? Dass die Kulturlandschaft erhalten bleibt? Es gibt viele Gründe dafür, warum ich ein regionales Produkt kaufen will. Und unsere regionalen Produkte werden sicherlich auch in Zukunft teurer sein als Produkte, die aus Regionen kommen, in denen günstiger produziert wird, beispielsweise weil es geringere Standards beim Umweltschutz gibt.

Wichtiger Punkt: Frische. Ein Gemüse, das unreif gepflückt wurde und eine lange Reise hinter sich hat, auf der es sich vielleicht noch ein paar Dellen geholt hat, schneidet ja eigentlich schlechter ab als recht frisch vom Strauch Gepflücktes aus der Nähe?
Frische und Geschmack ist für viele wichtig. Eine sonnengereifte Tomate schmeckt nicht nur besser, sie hat auch gesündere Inhaltsstoffe. Die Jahresberichte der Lebensmittelüberwachung des Landes Baden-Württemberg weisen jährlich aus, dass heimisches Saisonobst und Gemüse weniger Rückstände an Pflanzenschutzmitteln enthält. Die Umweltschutzstandards sind bei uns in der Regel höher und werden auch besser kontrolliert. Das hat Vorteile für die Verbraucherinnen und Verbraucher genauso wie für unsere Umwelt. Wobei auch bei uns in Deutschland noch Potenzial besteht – das zeigen aktuelle Studien, die einen Zusammenhang zwischen Pestizideinsatz und Artensterben sehen.

Wir hatten jetzt auch viele Jahrzehnte lang Monokulturen auf den Feldern. Spüren Sie eine Veränderung, weil der Anbau vielfältiger wird?
Das kann man so noch nicht sagen, weil sich viele Produkte noch im Nischenbereich bewegen. Dazu zählen beispielsweise Hanf, Buchweizen, Aroniabeeren, Gojibeeren und Heidelbeeren oder auch Süßkartoffeln. Außerdem: Die Landwirte produzieren, was für sie wirtschaftlich interessant ist und was die Verbraucherinnen und Verbraucher über den Lebensmitteleinzelhandel nachfragen. Ich wiederhole es gerne nochmals: Die Verbraucherinnen und Verbraucher beeinflussen mit ihrem Einkaufsverhalten, wie die Landwirtschaft vor Ort produziert und welche Kulturen sie anbaut. Ebenso auch, wie die Nutztiere auf den Höfen gehalten werden.

Wenn es jetzt wegen des Klimawandels wärmer hier wird, bietet das ja auch Chancen für Nahrungsmittel, die bislang aus dem Süden kamen?
Man sieht die Veränderung ganz klar: Schon seit einiger Zeit werden in den milderen Regionen in Deutschland Pfirsiche und Aprikosen angebaut. Und seit einigen Jahren auch Kiwis.

Verbindet man nicht unbedingt mit einem deutschen Garten oder gar Obstbau in Deutschland.
Im Bodenseeraum und im Rheintal gibt es mittlerweile gute Bedingungen für eher wärmeliebendes Obst oder Gemüse. Beim Obst haben wir derzeit in Deutschland einen Selbstversorgungsgrad von fünfundzwanzig Prozent. Aber Ananas oder Bananen werden wir in absehbarer Zeit in Deutschland nicht anbauen können. Da bin ich mir sicher.

Könnte man in Deutschland komplett ohne Nahrungsmittelimporte auskommen? Oder müssten wir noch viel dafür tun?
Davon sind wir derzeit in unserer globalisierten Welt weit entfernt. Bei anderen Lebensmittelgruppen weisen wir zwar einen höheren Selbstversorgungsgrad auf. Aber wenn man herausrechnet, beispielsweise wie viel Soja ich für die Fütterung von Tieren brauche, dann relativiert sich der Selbstversorgungsgrad wieder. 

Wären wir alle Vegetarier und alles angepflanzte Getreide würde nicht über den Umweg Tier und Fleisch, sondern direkt als Nahrungsmittel zu uns kommen, würden wir es dann schaffen?
Der Selbstversorgungsgrad wäre höher, wenn wir uns mehr pflanzlich ernährten. Aber pauschal kann man das nicht sagen. Dazu ist die Lebensmittelproduktion heutzutage zu vernetzt und die Erwartungshaltung von Verbraucherinnen und Verbrauchern eine andere als vor beispielsweise 100 Jahren. Ebenso sind nicht alle Pflanzen, die als Lebensmittel angebaut wurden, nach der Ernte markttauglich. Wenn beispielsweise im Brotgetreide der Eiweißanteil oder der fürs Backen notwendige Kleberanteil zu niedrig ist. Auch werden verschiedenste Nebenprodukte wie Extraktionsschrote oder Kleie in Futtermittel eingemischt. Deshalb ist die Verwertung über den Tiermagen allemal besser als das Wegwerfen. Ebenso kann das Grünland nur über Wiederkäuergenutzt werden. Werden Wiesen nicht gemäht oder beweidet, wachsen sie zu und werden Wald.

Isabella Hafner