Weg von der Verkehrsdominanz - Ein Interview zur Landesgartenschau 2030

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Weg von der Verkehrsdominanz - Ein Interview zur Landesgartenschau 2030

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Ein halbes Jahr ist es her, dass Ulm den Zuschlag zur Landesgartenschau (LGS) 2030 erhalten hat. Nun soll ein grünes Band entstehen, von der Donaubastion über das Ehinger und Blaubeurer Tor bis hinauf zur Wilhelmsburg, wo ein Großteil der Anlagen Platz finden soll. Erstmals steht dabei mit der B10 eine Hauptverkehrsachse im Zentrum einer LGS. Agzente plus sprach über die ungewöhnlichen Pläne mit Jochen Aminde, dem Referenten des Bau- und Umweltbürgermeisters und Projektleiter in Sachen LGS 2030.

Gartenschauen sind oft Treiber der Innovation und Stadtentwicklung. Wo sehen Sie dabei langfristige Perspektiven für Ulm durch die LGS in 11 Jahren?

Jochen Aminde, Stadt Ulm
      Jochen Aminde, Stadt Ulm

Die Entwicklung ist auf verschiedenen Ebenen möglich. Einerseits sind das stadtplanerische Fragen wie bauliche Veränderungen oder Aspekte der Verkehrs- und Grünplanung. Die andere Ebene ist die soziale Wirkung, wie sich auf anderen Gartenschauen schon oft gezeigt hat. Wenn man es schafft, viele Menschen für die

Idee zu begeistern, die Heraus- forderung gemeinsam zu meistern, kann sich daraus auch ein gemeinsames Identitätsgefühl entwickeln. Da war z.B. die LGS in Schwäbisch Gmünd ein großer Erfolg, bei der man Viele ins Boot holen und auch für eine Mitarbeit bei der Veranstaltung gewinnen konnte.

Oft gibt es durch die LGS aber auch Sanierungen, Umbauten oder Neuentwicklungen auf Flächen, die ohnehin anstehen, in dieser Intensität aber sonst nicht erfolgen würden. Zum einen setzt der Eröffnungstermin einen gewissen Zeitdruck, aber auch das Land ist sehr daran interessiert, dass möglichst viel passiert, so dass unterschiedlichste Fördermittel gebunden werden können. Für die LGS selbst stehen maximal 5 Millionen Euro an Landesmitteln zur Verfügung. Wenn man aber auch städtebauliche und verkehrliche Entwicklungen anstößt, gibt es verschiedene andere Fördertöpfe, die genutzt werden können. So lässt sich in relativ kurzer Zeit viel umsetzen.

Sie sprechen von Flächen, die ohnehin zur Sanierung anstehen. An welche denken Sie dabei in Ulm?
Da haben wir beispielsweise die Sanierungsgebiete der Weststadt und des Dichterviertels, die rechts und links der B10 liegen. Hier überlegen wir gerade, wie die Gesamtkulisse neu aufgehängt werden kann, etwa durch eine Erweiterung oder auch Zusammenlegung beider Gebiete im Hinblick auf die LGS 2030. Der Schwerpunkt liegt dabei auf den Planungen entlang der B10 als Entwicklungsachse.

Wie viel Einfluss kann man jetzt noch auf diese Gebiete nehmen, nachdem die Bautätigkeit schon so weit fortgeschritten ist?
Was die Gebäude betrifft, sind die Konzepte schon recht weit entwickelt, wenn auch noch nicht Alles feststeht. Aber die gesamten Freiflächen, vor allem die unmittelbar an der B10 bzw. den Blauarmen liegenden, wurden erst mal in der Planung zurückgestellt, bis die Pläne für die LGS konkreter werden.

Auf der Verkehrsachse B10 dominiert im Moment der Asphalt. Da ist eine LGS schwer vorstellbar. Planen Sie auch, neue Flächen zu gewinnen, z.B. durch Rückbau von Verkehrsflächen?
Diese Bilder haben wir jetzt auch noch nicht klar im Kopf. Die müssen sich erst noch entwickeln, wozu wir gerade einen Prozess anstoßen. Aber natürlich müssen wir uns die vom Verkehr in Anspruch genommenen Flächen sehr genau ansehen. Das kann nicht in einem einzigen Planungsschritt erfolgen. Wir gehen von einem Diskurs mit der Öffentlichkeit und den Fachleuten aus, der grob geschätzt 3 bis 4 Jahre dauern wird. Am Ende werden wir hoffentlich einen oder mehrere Planer haben, die wir mit der Umsetzung beauftragen können.

Aber Sie fragten nach den Bildern. Wir wollen von dem Negativbild der Verkehrsdominanz weg kommen. Das hat mit Flächen zu tun, aber auch mit der Einbindung ins Umfeld. Wir werden dort weiterhin viel Verkehr haben und können die Stadt Ulm nicht für den Durchgangsverkehr sperren. Untersuchungen haben uns gezeigt, dass auf der B10-Achse vor allem viel innerstädtischer Verkehr läuft, z.B. Richtung Weststadt. Das lässt sich nicht innerhalb von 11 Jahren komplett zurückbauen, so dass wir weiterhin mit diesem Verkehr arbeiten müssen. Aber gerade das ist das Spannende: Der Umgang mit großen Verkehrsmengen, die über eine gezielte Gestaltung platzsparender und verträglicher abgewickelt werden können.

Man könnte die LGS aber auch dafür nutzen, den ÖPNV auszubauen und den Individualverkehr zu reduzieren.
Wenn das im Planungszeitraum gelingen könnte, wäre das ein schöner Erfolg. Aber das hängt von vielen unterschiedlichen Faktoren ab, die wir auch im Zuge einer LGS nur begrenzt beeinflussen können. Diese Entwicklung muss auf vielen Ebenen laufen. Wegen der LGS können wir nicht den gesamten Liniennetzplan umstellen.

Dennoch steht die Verkehrswende an. Sollte man nicht dieses Großereignis nutzen, um das gesamte Verkehrskonzept zu überdenken?
Die Verkehrswende ist eine der großen gesellschaftlichen Aufgaben der nächsten Jahre. Wir werden sicher versuchen, möglichst viele Impulse auch aus der LGS zu ziehen. Ich bin aber eher skeptisch, dass das ein zentraler Aspekt der LGS ist. Es kann nicht Voraussetzung sein, den Verkehr in der Stadt Ulm komplett umzubauen, um die LGS zu ermöglichen. Eher kann man versuchen, an einzelnen Punkten die Spuren zurückzubauen, etwa Verkehrsflächen zu überbauen oder in den Boden zu verlegen, wobei da der Spielraum sehr gering ist, wegen der vielen Tunnels und Leitungen, die bereits vorhanden sind.

Auf der Webseite lgs-ulm.de wird auch eine Verbesserung der ökologischen Situation von Grünflächen genannt. Was ist dazu geplant?
Nicht nur bestehende Anlagen sollen aufgewertet werden, es geht auch darum, aus viel Asphalt mehr Grün zu machen. Das ist unsere Vorstellung z.B. am Ehinger Tor. Dort überlegen wir, wie sich der Verkehr anders organisieren lässt, so dass aus einem Flickwerk kleiner Inseln mehr zusammenhängende Grünflächen entstehen und Fußgänger beim Überqueren der Straße nur noch eine Ampel statt bisher vier queren müssen. So lässt sich gleichzeitig der Fußgänger- und Radverkehr fördern. Dazu gibt es schon Konzepte aus anderen Städten, wo man z.B. eine Ampelphase für Fußgänger aus allen Richtungen schaltet. Am Ehinger Tor ist das noch schwer vorstellbar, aber dazu haben wir für den Herbst eine Expertenklausur angesetzt, um uns unterschiedliche Ideen und Konzepte anzuschauen.

Der Schwerpunkt der LGS ist an der Wilhelmsburg vorgesehen. Momentan ist es schwierig, bei Veranstaltungen große Besucherzahlen dorthin zu transportieren. Haben Sie dafür ein Konzept?
Im letzten Sommer hat das im kleineren Rahmen schon ganz gut geklappt mit einer Sonderbuslinie. Gerade prüfen die SWU auch, eine dauerhafte Buslinie zur Burg einzurichten, die nicht nur bei Veranstaltungen verkehrt. Es werden noch verschiedene Routen untersucht, aber vermutlich wird der Bus über die Kliniken und die Stuttgarter Straße fahren, nicht direkt von der Stadt hoch, das wäre zu steil. Dies lässt sich kurzfristig machen.

Darüber hinaus soll ein Gutachten in Auftrag gegeben werden, wie die Wilhelmsburg effektiv erschlossen werden kann. Dabei geht es nicht nur um Förderkapazitäten, sondern auch um die notwendige Flexibilität, um bei Großveranstaltungen tausende von Besuchern befördern und das Transportmittel zu anderen Zeiten entsprechend zurückfahren zu können. Dazu könnte eine Seilbahn eine sehr effektive Lösung sein, aber wir sind da derzeit noch völlig ergebnisoffen. Es soll z.B. auch ein Buspendelsystem, eventuell mit autonom fahrenden Bussen, geprüft werden. Bei einer Seilbahn stellt sich die Frage, wie lang die Strecke wird. Soll sie etwa nur vom Kienlesberg oder Lehrer Tal abgehen, oder überwindet man noch die Bahnschienen und bindet den Hauptbahnhof bzw. das Dichterviertel gleich mit an? Wichtig ist, dass die Taktung mit den bestehenden Bus- und Bahnlinien abgestimmt wird und keine eigenen Tickets erforderlich sind, sondern die Seilbahn in das ÖPNV-Netz eingebunden ist.

Die Seilbahn wäre dann eine Dauerlösung, die nicht nach der LGS abgebaut wird?
Ja, so sehen wir das – wie fast alles an der LGS. Das Ziel ist, eine Stadtentwicklung für die nächsten 20 bis 30 Jahre anzustoßen, nicht alles nach dem Sommer 2030 wieder zurückzubauen. Z.B. sind auf der Bundesgartenschau in Heilbronn, die kürzlich eröffnet wurde, wunderschöne Grünflächen mit teilweise dichtem Baumbestand entstanden. Aber man weiß schon jetzt, dass dort in ein paar Jahren Wohnhäuser stehen werden. Das wird hier bei uns anders sein. Alle für die LGS entwickelten Grünflächen sollen dauerhaft erhalten bleiben.

Ulm 2030 ist ein großes Experiment. Ich kenne nicht alle Gartenschauen der vergangenen 30 Jahre, aber ich glaube, es ist einmalig, dass eine Hauptverkehrsachse als Ausgangspunkt zur Entwicklung einer LGS herangezogen werden soll. Neben der Wilhelmsburg mit den angrenzenden Grünflächen wagen wir uns damit an sehr schwierige Flächen heran. Das Ziel ist, deutlich mehr Grün und qualitätsvolle Freiflächen zu schaffen und so auch die Lebensqualität der Anwohner, z.B. im Dichterviertel langfristig zu verbessern. Dieses Denken steht im Mittelpunkt und die Frage ist, wie weit sich die Verkehrsflächen reduzieren lassen, um dieses Ziel zu erreichen.

Ein sehr nachhaltiges Konzept. Wie sehen Sie dabei die langfristigen Perspektiven für die Nutzung der Wilhelmsburg?
Da passiert ja bereits Einiges. Es gibt schon eine Achse mit Räumen, die vermietet werden und der Hof wird kulturell genutzt. In den nächsten Jahren soll das weiter mit Leben gefüllt werden, was wiederum eine weitere Erschließung nach sich ziehen wird. Da warten wir mit der LGS-Planung noch etwas ab. Möglicherweise geht die Entwicklung recht schnell, so dass wir dann gar nicht mehr viel machen müssen. Wenn nicht, sehe ich durch die LGS eine große Chance, dass wir z.B. Firmen finden, die dort ausstellen wollen und einen neuen Standort sehen. Möglichkeiten gibt es viele.

Z.B. auch für Museen? Die Räume würden sich ja durchaus eignen…
Ja, da haben wir ein tolles Potenzial. Es gibt auch bereits Anfragen von Galerien. Es soll aber eine gemischte Nutzung geben und eine Art neues Quartier entstehen, mit Ausstellungen und Museen, gewerblicher Nutzung und auch besonderen Wohnformen. Das ist baurechtlich nicht einfach, aber durchaus möglich.

Wie ist der Planungshorizont für die LGS, reicht es, wenn man 5 Jahre vorher konkret einsteigt?
Ich denke ja. Aber es gibt auch langfristigere Planungen, etwa für das Umfeld des Ehinger Tors oder die Planung von Brückenbauwerken. Da müssen wir jetzt bald ran. Deshalb auch die Expertenklausur im Herbst. In der Bewerbung haben wir z.B. auch den Glacis-Steg, der das Blaubeurer Tor mit der Kienlesbergbastion verbinden soll, als neue Brücke oder auch als Erweiterung der bestehenden. Da wir uns hier mit der Bahn abstimmen müssen, wird das wohl ein paar Jahre länger dauern.

Vielen Dank für das Interview, wir hoffen auf eine weiterhin so positive Entwicklung.

Das Interview führte Thomas Dombeck


Interview zum Nachhören bei Radio free FM