Ideenwerkstatt des AK Energie: Woher kommt unser Strom in der Zukunft?

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Ideenwerkstatt des AK Energie: Woher kommt unser Strom in der Zukunft?

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Die 10. Ideenwerkstatt für die regionale Energiewende fand in diesem Jahr vollständig im Online-Format statt. Unter dem Titel "Klimaschutz in der Region Ulm - quo vadis?" widmete sie sich der Frage, welche Strommengen wir in den nächsten Jahrzehnten benötigen werden und wie sie klimaneutral erzeugt werden könnten. Ziel war, möglichst konkret Mittel und Wege für unsere Region aufzuzeigen und relevante Akteure zu identifizieren.

Den Einstieg machte am Vormittag Dr. Christoph Hantel, Leiter der vh ulm, wo sämtliche bisherigen Ideenwerkstätten ein Dach über dem Kopf fanden. Er freute sich, auch online zahlreiche Gäste zu begrüßen und betonte die Wichtigkeit, regional mehr Klimaschutz zu betreiben: "Wir sollten in Deutschland etwas tun und nicht auf die anderen warten." 

Breite Basis muss Klimaschutz mittragen
Bürgermeister Tim von Winning berichtete über die Aktivtäten der Stadt Ulm im Klimaschutz und machte deutlich, dass Ulm bereits in allen Sektoren Maßnahmen definiert hat und aktiv ist. Jedoch zeige sich bei den Analysen im Rahmen des European Energy Awards "die bisherige große umfassende Leistung, aber auch was wir noch nicht geschafft haben". Bei Strom und Wärme sei Ulm bereits sehr weit: der Ausbau der Photovoltaik stehe stark im Fokus und werde durch Förderprogramme, Aufklärung und die neue PV-Pflicht für Neubauten gestützt. Für den Wärmesektor sei ein Wärmeplan für Ulm beauftragt. Im Sektor Mobilität gebe es hingegen noch viel Handlungsbedarf. "Aber auch jede Maßnahme hat eine Auswirkung, auch Elektroautos haben einen ökologischen Rucksack."

Die "Low hanging fruits" habe man in Ulm bereits geerntet; die letzten Tonnen CO2 würden nun einen viel größeren Aufwand erfordern. Daher sei es wichtig abzuwägen, was mit jedem Euro erreicht werden kann. Aus von Winnings Sicht wird die Kompensation von CO2-Emissionen in Zukunft eine große Rolle für den Klimaschutz spielen. Wichtig sei in jedem Fall eine breite Basis von Menschen in der Region, die die Maßnahmen erarbeiten und mittragen.

SWU dekarbonisiert Gasversorgung
Klaus Eder, Leiter der Stadtwerke Ulm/Neu-Ulm (SWU), sprach den Konflikt zwischen Windkraft und Naturschutz an. Für Investoren sei aufgrund der derzeitigen Genehmigungszeiträume von über 5 Jahren für Windkraftanlagen keine Planungssicherheit gegeben. Auch bei der Wasserkraft sah er Handlungsbedarf: Wegen Trockenperioden sei die Wasserkraft seit 2010 um 25 % zurückgegangen, gleichzeitig würden in den nächsten 10 Jahren viele Wasserkraftanlagen in der Region ihre Genehmigung verlieren. Auch hier sei ein guter Kompromiss mit dem Natur- und Artenschutz nötig. Er kündigte an, dass die SWU bis 2040 ihr Erdgasnetz vollständig dekarbonisieren und nur noch mit regenerativ erzeugtem Wasserstoff betreiben werde. Dafür müssten dezentrale Elektrolyseure errichtet werden.

Große Gefahr für das Klima durch Kipppunkte
Mit Spannung erwartet wurde der Impulsvortrag von Prof. Michael Kühl von den Scientists for Future als Basis für die Arbeit in den Workshops am Nachmittag. Er zeigte mögliche und bereits messbare Folgen des Klimawandels auf, beschrieb unterschiedliche Szenarien zum Einhalten der Pariser Klimaziele und die Bedeutung der sogenannten Kipppunkte, die unumkehrbare Klimaeffekte markieren: verschwinden zum Beispiel die Gebirgsgletscher und das polare Eis, so verstärkt sich der Effekt der Erderwärmung, weil die eintreffende Sonnenstrahlung nicht reflektiert, sondern von der Erdoberfläche und den unteren Luftschichten gespeichert wird; das System "kippt" wie ein Stuhl, auf dem jemand herumkippelt und zu weit nach hinten schaukelt. 

Nach Einschätzung der Wissenschaft, z.B. im Potsdam Institut für Klimafolgenforschung, könnten solche Kipppunkte bereits bei einer durchschnittlichen globalen Erwärmung zwischen 1,5 °C und 2°C erreicht werden. Da sich CO2 und andere Treibhausgase in der Atmosphäre anreichern, führen diese Betrachtungen zu einem globalen CO2-Budget, dessen Aufnahme die Atmosphäre für eine maximale Erhitzung um 1,5° noch verkraften kann. Dieses Budget betrug 2018 noch zwischen 420 und 580 Gigatonnen CO2 für das 1,5-Grad-Ziel, woraus sich wiederum für Deutschland ab 2020 ein Restbudget von 4.200 Millionen Tonnen ableiten lässt. 

Deutscher Zielpfad reicht nicht aus
Der bisherige Zielpfad der Bundesregierung - Klimaneutralität bis 2045 - würde mehr als doppelt so viele Treibhausgasemissionen zulassen wie in unserem Restbudget noch vorgesehen. Nach einem Szenario des Wuppertal Instituts müssten wir bis 2035 ein klimaneutrales Energiesystem aufbauen, um die schlimmsten Folgen des Klimawandels abzuwenden. Kühl betrachtete nun in seinem Vortrag Szenarien verschiedener Forschungsinstitute für die Erreichung einer klimaneutralen Energiewirtschaft auf allen Sektoren bis 2035.

Demnach wird die Bedeutung von Strom aus erneuerbaren Quellen die entscheidende Rolle für die Einhaltung des 1,5-Grad-Zieles sein, um auch in den Sektoren Wärme und Mobilität Klimaneutralität zu erreichen. Wenn aber einerseits Energieeinspar- und Effizienzpotenziale und andererseits der zusätzliche Stromverbrauch für Elektromobilität, Heizung und zunehmende Digitalisierung einbezogen werden, bedeutet dies in Zahlen: den Zubau von Photovoltaik und Windkraft von derzeit rund 6,2 GW pro Jahr (in 2018/19) - je nach Szenario - auf 15 bis 40 GW pro Jahr zu steigern.

Darüber hinaus werden unterschiedliche Speichermöglichkeiten für Strom benötigt, um Zeiten zu überbrücken, in denen entweder zu viel oder zu wenig erneuerbarer Strom erzeugt wird. Dabei sind Tages- ebenso wie saisonale Speicher gefragt, zur Versorgung von Einzelhäusern, ganzen Quartieren oder Industrieanlagen, seien es elektrische, chemische, thermische oder mechanische Speicher.

Siebenfache Leistung aus Erneuerbaren erforderlich
Kühl schloss mit konkreten Zahlen für die Region: 630 Megawatt beträgt die derzeitige installierte Leistung für regenerative Stromerzeugung. Damit unsere Region ihren Beitrag zur Rettung des Weltklimas leisten kann, wäre bis 2030 eine Leistung von insgesamt 1890 Megawatt und 4410 Megawatt bis 2040 notwendig. Mit diesen Zahlen entließ er die Teilnehmenden in die Workshops am Nachmittag.

Dort teilten sich die rund 35 Teilnehmenden auf die drei Kernthemen Windkraft, Solarstrom und Speichertechnologien auf, mit dem Ziel, notwendige Schritte in den jeweiligen Bereichen zu definieren, Stolpersteine zu identifizieren und wesentliche Akteure zu benennen. Factsheets über die Situation in der Region, die der AK Energie vorbereitet hatte, unterstützten den Einstieg in die konkreten Themen.

Aktuelle Ulmer Ausbauziele für PV reichen nicht
Der Workshop zum Solarstrom bemängelte gleich zu Beginn, dass die aktuellen Ausbauziele der Stadt Ulm von 50 auf 100 Megawatt (MWp) bis zum Jahr 2030 nicht dem von Prof. Kühl angeführten Faktor 3 an Gesamtleistung entsprechen. Um die notwendige Menge an Solarstrom in Zukunft erzeugen zu können, schlug der Workshop einige zentrale Elemente für die nächsten Schritte vor: Versiegelte Flächen wie Parkplätze, Firmengelände, Sportvereine etc., aber auch Fassaden sollten für die Solarstromerzeugung genutzt werden, auch um beispielsweise der Kundschaft und den Mitarbeitenden tagsüber das Laden ihrer privaten E-Fahrzeuge zu ermöglichen. Die Nutzung bereits vorhandener Dach- und Fassadenflächen soll klar vor der Nutzung von landwirtschaftlichen Flächen gehen, um Zielkonflikte zu vermeiden.

Die Beteiligung der Bürgerschaft z.B. über Genossenschaften oder andere Beteiligungsmodelle soll gestärkt werden, um mehr Akzeptanz und Dynamik zu erreichen. Dies erfordert auch, bestehende Genossenschaften zu unterstützen und die bisher größtenteils ehrenamtlichen Strukturen zu professionalisieren. Insgesamt wurde mehr Kooperation eingefordert, beispielsweise zwischen Kommunen, Bürgerschaft, Wissenschaft und Wirtschaft.

Windkraftausbau muss dringend wiederbelebt werden
Die Wind-Gruppe identifizierte einige schwere Stolpersteine für den weiteren Ausbau der Windkraft in der Region. So weist der aktuelle Regionalentwicklungsplan zu wenige Vorrangflächen für die Windkraftnutzung aus, obwohl einige potenziell wirtschaftliche Flächen vorhanden wären. Genehmigungsverfahren dauern zum Teil fünf bis sieben Jahre, was es Investoren schwer macht, Projekte wirtschaftlich zu planen. Konflikte mit dem Naturschutz und Akzeptanzprobleme in den betroffenen Kommunen erschweren die Umsetzung der wenigen vorhandenen Flächen. 

Der Workshop kommt daher zu dem Schluss, dass es notwendig ist, die Akzeptanz zu fördern, in den öffentlichen Diskurs über das Thema zu treten und positiv eingestellte Kommunen zu gewinnen. Auch hier könnte eine stärkere Beteiligung der Bürgerschaft zur Akzeptanz solcher Projekte beitragen und zeigen, dass die Vorteile der Windkraftnutzung die Nachteile bei weitem überwiegen. Als erster Schritt könnten durch die lokale agenda Unterstützerinnen und Unterstützer für die Idee gefunden und zu einer "Allianz der Willigen" zusammengebracht werden.

Viele Lösungen für Speicher notwendig
Für den Workshop zu Speichertechnologien waren eine ganze Reihe guter Beispiele und bereits funktionierender Technologien zusammengetragen worden. Schnell war klar, dass es hier nicht die eine Lösung geben kann, sondern dass auch für eine Umsetzung in der Region eine Kombination aus zentralen und dezentralen Elementen für kurz- wie langfristige Speicherdauern notwendig sind. Dabei muss auf kritische Rohstoffe und nachhaltige Lösungen geachtet werden. Als Fazit forderte die Gruppe "Mehr Mut und Pragmatismus - weniger Diskussion" von allen relevanten Akteuren. Öffentlichkeits- und Aufklärungsarbeit sowie die Förderung des fachlichen Austausches könnten hierbei Aufgaben der lokalen agenda sein.

Die angedachten Schritte aus allen drei Workshops sollen nun vom AK Energie weiter verfolgt werden. Zum Thema Wind wird ein eigenes Arbeitsteam gegründet, die erste Sitzung wird Ende September stattfinden. Interessierte sind herzlich eingeladen, sich beim Agenda-Büro zu melden.

Petra Schmitz, Agenda-Büro