Parken - Ein von der Allgemeinheit subventionierter Luxus?

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Parken - Ein von der Allgemeinheit subventionierter Luxus?

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Parken ist ein emotionales Thema. Das bekommt auch der Ulmer Baubürgermeister Tim von Winning nach eigenen Worten - fast - jeden Tag zu spüren. Viele Bürger sind mit der Situation unzufrieden. Deshalb soll ein neues Parkraumkonzept für die Innenstadt her.

Langsam ruckeln Autos über das Kopfsteinpflaster im Fischerviertel: Parkplatzsuche. Doch hier ein Halteverbot, da dürfen nur Patienten parken, woanders nur Bewohner. Ein Bewohner gibt zu, dass er selbst oft bis zu einer halben Stunde suche. Vor allem nervt ihn, dass manch einer sich einfach seine eigene, experimentelle Lösung erlaubt: „Manche parken hier wie die Wilden. Dieser Rollerfahrer zum Beispiel, der macht’s ganz interessant. Immer wenn er mit dem Auto weg muss, stellt er einfach seinen Roller auf den Parkplatz. Solche Leute gibt’s hier.“ Szenen wie am Urlaubspool von deutschen Handtuch-Liegestuhl-Reservierern. 

Eine andere Anwohnerin hat eine ganze Weile gebraucht, bis sie alle Parkschilder im Fischerviertel verstanden hat. „Parkverbot, Begrenzungspfeil hierhin, Pfeil dorthin. Die Schilder sind einfach nicht eindeutig. Ich würde mir sowieso mehr Stellplätze für die Bewohner wünschen. Vor allem, wenn ich abends heimkomme, ist es eine Katastrophe. Ich fahre deshalb meistens mit dem Rad, wenn ich einen Parkplatz habe. Das ist der Trick!“

Also: Wenn man ein Auto hat - möglichst selten verrücken. Verrückt?

In Ulm entsteht nach Ansicht der Stadt viel Verkehr, weil Leute nicht gleich ins Parkhaus fahren, sondern lange einen Parkplatz direkt vor ihrer Wohnung oder einem Geschäft suchen. Den sie dann nicht finden - oder hin- und her irren durch den Dschungel an Parkregelungen. 

Ein Mann, der gerade in einer der Gassen hinter dem Münster als Bauarbeiter arbeitet, sagt: „Das ist nicht übersichtlich, das Ganze. Wenn man jetzt hier aus den Gassen rausfährt, es sind Parkplätze vorhanden, aber wenn man von auswärts kommt, weiß man das gar nicht.“ Eine andere Frau sagt, man könne oft nur eine Stunde parken, deshalb gehe sie meistens gleich ins Parkhaus. Eine andere sagt: „Tatsächlich suche ich oft einen, aber ich kenne so ein paar Ecken.“ Ein Mann klagt, eine potenzielle Mieterin habe bei ihm abgesagt, weil sie Sorge hatte, sie würde eventuell keinen Parkplatz finden. 

Ohnehin ist es aber so, dass sich Anwohner, die nicht täglich suchen wollen, einen festen Platz in der Tiefgarage mieten. Dieser Mann zahlt jeden Monat 120 Euro dafür: „Die kostet kräftig Geld. Für einen Platz, der keinerlei Privatsphäre hat. Sie können keinen Reifen neben das Auto stellen, dann ist er eventuell weg.“ Ein anderer sagt, sein Mitarbeiter habe versucht, einen Parkplatz zu mieten. Die Wartezeit habe zwei Jahre betragen. 

Ein einheitliches Parkraumkonzept
Die Stadt hat nun das Thema Parken in Angriff genommen. Es soll einheitliche Parkregeln geben, Innenstadt-Besucher sollen, wenn es nach Baubürgermeister Tim von Winning geht, in den Parkhäusern parken, und Bewohner in Sackgassen ohne Lieferverkehr. Und Anwohnerparkausweise könnten etwa 300 Euro kosten in der Innenstadt.

Denn grundsätzlich sei Anwohnerparken zu günstig: „In den skandinavischen Ländern in Oslo und Stockholm gibt es inzwischen Jahrespreise, die liegen eher in der Größenordnung von 800 Euro. Bisher war es in Deutschland gedeckelt auf 31,25 Euro.“ Diese Grenze wurde in den 80er Jahren eingeführt. Und sie ist im Sommer gefallen, die Kommunen können nun also selbst bestimmen, wie viel der Platz für Autos im öffentlichen Raum wert sein soll. 

Von Winning findet es ungerecht, dass Menschen, die in der Innenstadt wohnen, für einen fest gemieteten Parkplatz beispielsweise im Parkhaus 120 bis 200 Euro im Monat zahlen müssen; jemand,  der aber irgendwo in der Straße parkt, zwar einen Parkplatz jedesmal suchen, aber lediglich um die 30 Euro im Jahr dafür aufbringen muss. Von Winning: „Die grundsätzliche Frage ist: Ist Parken wirklich ,Allgemeingebrauch’? Denn schließlich gehört ja auch der öffentliche Raum allen…“ Wer eine Gastronomie betreibt und draußen Tische aufstellen will, braucht eine Sondernutzungsgenehmigung. „Wir aber sind es einfach gewohnt, dass wir in den Straßen unsere Autos abstellen können. Dabei könnte in diesem öffentlichen Raum so viel städtisches Leben stattfinden.“ 

Parkplätze lohnen sich nicht
40.000 bis 60.000 Euro koste in etwa der Bau eines Tiefgaragenstellplatzes. Dazu komme der Unterhalt. Deshalb meldeten sich einige Investoren bei der Stadt, die gerne Wohnraum bauen würden, selten aber welche, die interessiert am Bau und Unterhalt einer Tiefgarage sind. Parkplätze lohnen sich nicht. Gleichzeitig schrieben regelmäßig viele Ulmerinnen und Ulmer an die Stadt, sie möge mehr Parkplätze zur Verfügung stellen. 

In manch anderen Ländern ist es dem Baubürgermeister zufolge anders: Wer ein Auto anmelden will, muss einen Stellplatz nachweisen. „Das muss man in Deutschland nicht. Da kann man ein Auto anmelden und sich dann beschweren, dass es zu wenig Parkplätze in der Straße gibt. Dagegen haben wir eine ein bisschen eigenwillige Regelung: Man muss einen Stellplatz nachweisen, wenn man eine Wohnung bauen will. Eine Wohnung hat aber nicht zwingend etwas mit einem Auto zu tun.“ 

Die Ulmer Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft mbH - das Wohnungsunternehmen der Stadt Ulm, das möglichst bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung stellt - hat in der Nähe der Südwest Presse ein Mehrfamilienhaus gebaut. Eigentlich müsste jeder Bewohner einen Stellplatz für 140 Euro mit mieten, wenn sich der Bau der Stellplätze rechnen sollte. Manche brauchen gar keinen Stellplatz. Also werden sie an Fremde vermietet, die in der Innenstadt einen brauchen. Von Winning: „Doch die Bereitschaft, für einen Parkplatz Geld auszugeben, liegt bei höchstens 70 Euro im Monat.“ Bei der Hälfte also. Es fehlen 70 Euro. Die müssen die Mieter also bezahlen, um die Differenz auszugleichen. 

Ist die Maßgabe daher überholt, dass jede neu gebaute Wohnung zwingend einen Stellplatz ausweisen muss? Von Winning: „Das System Auto steht die meiste Zeit herum und ist unheimlich teuer und ineffizient. Wir haben in Deutschland 47 Millionen PKW und 160 Millionen Parkplätze. 95 Prozent der Zeit werden die meisten Autos nicht bewegt.“ 

Sie stehen die meiste Zeit daheim vor dem Haus oder vor der Arbeit. Und kurz mal vor dem Supermarkt, dem Restaurant oder Fitnessstudio. Von Winning: „Viele Kosten für Parkplätze sind versteckt, weil die Solidargemeinschaft sie trägt.“ Ganz selbstverständlich. Durch Steuern.

Von Winning findet, Menschen müssen ihren öffentlichen Raum wieder zurückbekommen. Wer dort mit seinem Auto einen Platz in Anspruch nimmt, solle demnach den Wert dieses Platzes bezahlen. Den realistisch errechneten und nicht den von der Gemeinschaft subventionierten. Wer dann in die Innenstadt zieht, müsste, wenn es nach ihm geht, eben einkalkulieren, dass er etwa 300 Euro im Jahr für seinen Parkplatz aufbringen muss. Oder sich gegen ein eigenes Auto entscheiden und stattdessen Carsharing nutzen. Das wäre ihm sowieso lieber. Denn auf diese Weise wird ein Auto wirklich effizient genutzt und steht weniger herum. 

Wie könnte die Innenstadt aussehen, wenn wirklich bald weniger Autos die Kopfsteinpflaster säumten? Wenn dort stattdessen Menschen an Tischen säßen? Wenn Rosensträucher oder Oleanderbüsche dem Auge Abwechslung gäben statt bunte Blechkarossen? Wenn Radfahrer und Fußgänger mehr Platz hätten?

Wie auf dem Münsterplatz, auf dem Judenhof und auf dem Marktplatz vor dem Museum Ulm. Es gab mal eine Zeit, da waren diese drei Orte große Parkplätze. Noch heute sieht man zum Beispiel am Judenhof die weißen Markierungen. Es gab mal eine Zeit, da konnten sich einige Leute nicht vorstellen, wie es wäre, wenn dort einfach keine Autos mehr parken dürften. Und heute? Wie wär’s mit einem Kaffee?

Isabella Hafner