"Wir müssen die Daten verstehen"

Die Hochschule Neu-Ulm (HNU) hat ihr erstes Klimaschutzkonzept veröffentlicht. Stefan Loeffler sprach mit Prof. Dr. Julia Kormann über Maßnahmen, die zur Treibhausgasneutralität führen, die gesamtgesellschaftliche Verantwortung ihrer Hochschule und auch darüber, weshalb es so wichtig ist, Nachhaltigkeit immer auch mit der Gesundheit der Studierenden zu verknüpfen.  
 

Frau Dr. Kormann, die Hochschule Neu-Ulm möchte bis zum Jahr 2040 treibhausgasneutral sein. Ist das ein realistisches Ziel?
Da wir das Vorhaben immer wieder kritisch beleuchtet und auf den Prüfstand gestellt haben, sind wir sehr zuversichtlich, dass wir das hinbekommen.

Welche Maßnahmen müssen denn greifen, damit das Ziel erreicht werden kann?
Wir sind bei unseren Verbräuchen schon jetzt sehr gut aufgestellt, weil wir schon seit Jahren sehr weitsichtig agieren. Unter anderem decken wir schon heute den Stromverbrauch an unserer Hochschule zu 99 Prozent durch Ökostrom ab. Bei der Umsetzung unserer Ziele sind wir in den Bereichen Energie und Wärme natürlich auch auf externe Partner angewiesen, zum Beispiel die Stadtwerke Ulm/Neu-Ulm, die bis 2040 klimaneutrale Fernwärme liefern möchte. Dies ist für uns ein wesentlicher Aspekt.

Welche Kriterien liegen dem Klimaschutzkonzept zugrunde? 
Ein zentrales Element des Konzeptes stellt die Treibhausgasbilanz für das Jahr 2022 dar, die sämtliche Energieverbräuche und Emissionen der Hochschule nach den international etablierten Scopes aus dem Greenhouse Gas Protocol erfasst. Dazu zählen direkte Emissionen, zum Beispiel aus Heizungsanlagen und Dienstfahrzeugen, die im Scope 1 zusammengefasst sind. Indirekte Emissionen aus Energiebezug von etwa Strom und Fernwärme sind im Scope 2 dargestellt, weitere indirekte Emissionen in Scope 3, etwa aus den Bereichen IT oder Mobilität. Für das Jahr 2022 wurden die Gesamtemissionen der HNU dabei mit rund 2.049 Tonnen CO?-Äquivalenten bilanziert. Die Treibhausgasneutralität ist gemäß dem bayerischen Klimaschutzgesetz definiert durch die Reduktion von Emissionen in den Scopes 1 und 2.

Welche Rolle spielt die Pendlermobilität?
Sie ist unsere größte Emissionsquelle und wird verursacht, weil die Studierenden, Mitarbeitenden und auch Gäste hierher auf den Neu-Ulmer Campus kommen. Zudem unternehmen wir Dienstreisen und besuchen Kongresse. Um in der Wissenschafts-Community dabei zu sein, können wir auf diesen internationalen Austausch auch gar nicht verzichten. Auch im Bereich Mobilität sind wir auf die Kooperation mit externen Partnern angewiesen. So möchte die Stadt Neu-Ulm zum Beispiel fahrradfreundliche Kommune werden. Auch wir tun an der HNU einiges, um die Fahrrad-Mobilität zu erhöhen. Letztendlich ist jedoch alles eine Frage der Veränderung des individuellen Verhaltens einzelner Menschen, die wiederum Bestandteil eines Aushandlungsprozesses in einem demokratischen Diskurs ist.

Im Fokus des Klimaschutzkonzeptes steht neben den technischen Maßnahmen zur Emissionsreduktion auch ein gesamtinstitutionelles Verständnis für Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Transformation. Was ist damit gemeint?  
Sagen wir so: Der Klimaschutz ist fix, doch der Weg dorthin ist variabel. Wir befinden uns in einem gesamtgesellschaftlichen Transformationsprozess, der auf absehbare Zeit nicht endet, nie zu Ende sein wird. Schließlich reden wir auf der Welt seit über einem halben Jahrhundert über Klimaschutz. Unser Konzept ist eine Umsetzungsmaßnahme im Bereich der ökologischen Nachhaltigkeit, zu der wir gewissermaßen gezwungen sind, die jedoch auch sehr erkenntnisreich ist. Wichtig ist, dass wir die gewonnenen Zahlen und Fakten auch richtig lesen und deren Hintergründe erfahren. Jürgen Lentschig, der Leiter Gebäudemanagement, sagt immer: Wir dürfen die Daten nicht nur erheben, wir müssen sie auch verstehen. 
Wir machen jedoch einen großen Fehler, wenn wir die Treibhausgasneutralität singulär und abgehoben von anderen Prozessen an unserer Hochschule begreifen. Wie andere Hochschulen auch, und hier sind wir weit vorne, betrachten wir die digitale und nachhaltige Transformation als eine unserer Kernaufgaben in der Lehre, in der Forschung, im Transfer und natürlich auch als Institution.

Wie kann denn Klimaschutz gelebt werden?
Wenn wir im Bereich Ökologie zum Klimaschutz beitragen, fördern wir gleichzeitig die Gesundheit unserer Studierenden und der Lehrenden. Für die Menschen macht das Sinn, wenn sie verstehen, dass sie nicht mit dem Fahrrad fahren sollen, um CO2 zu sparen oder damit die Hochschule besser in der Bilanz dasteht. Wer mit dem Rad kommt, ist wacher, zufriedener und hat etwas für seine Gesundheit getan. Deshalb darf man die Dinge nie isoliert betrachten, sondern immer in einem Gesamtkontext des Handelns der Personen, an der Hochschule und in der Region. Schon kleine Beiträge von Studierenden, wenn sie zum Beispiel darauf achten, dass der Beamer nach einer Abendvorlesung ausgeschaltet ist, hilft uns in Summe dabei, den Weg zu gehen.  

Die HNU beschäftigt sich ja auch in der Lehre sehr stark mit dem Thema Klimaschutz.
Wir haben in den vergangenen Jahren mehrere Studiengänge aufgebaut, die sich dezidiert dem Thema Nachhaltigkeit widmen. So zum Beispiel das Studium „Communication & Design for Sustainability“. Hier lernt man, wie man nachhaltige Lebensstile entwickelt und vermittelt sowie Transformationsprozesse transparent gestaltet. Die Studierenden beschäftigen sich auch sehr intensiv mit digitalen Lösungen, die zum Wandel in der Gesellschaft beitragen und kommen auch regelmäßig mit neuen Ideen auf unseren Klimaschutzmanager Matthias Wimmer zu. Die Bereitschaft unserer Studierenden, zum Umweltschutz aktiv beitragen zu wollen, ist für uns sehr wichtig. So können wir als HNU mit verschiedenen Initiativen dazu beitragen, dass Studierende Resilienz entwickeln können. Und das wiederum brauchen wir in der Gesellschaft.

Warum wird es denn gefühlt immer wichtiger, dass wir alle Verantwortung für unsere Gesellschaft übernehmen?
Wir als Hochschule haben zum einen Verantwortung für die Lebenszeit, die uns die Studierenden und auch alle unsere Mitarbeitenden schenken. Als Hochschule für angewandte Wissenschaften haben wir jedoch insbesondere eine Verantwortung für die Weiterentwicklung der digitalen und nachhaltigen Transformation. Deshalb sind wir mit den Kommunen, mit der Zivilgesellschaft, der Wirtschaft und der Wissenschaft in einem stetigen Austausch. Dabei vermitteln wir neben dem Wissen über die Auswirkungen des Klimawandels oder eine gesunde Lebensführung vor allem die Methodenkompetenz, um wissenschaftliche Fragestellungen aus Basis von Grundlagenforschung zu lösen.

Was zeichnet die Methodenkompetenz aus?
Durch sie und die Interaktion mit den genannten Stakeholdern tragen wir als Wissensvermittler dazu bei, gemeinsam Lösungen für die Herausforderungen der Zukunft zu generieren. Die Fähigkeiten, die wir benötigen, um das Thema ökologischer Klimawandel anzugehen wie Adaptionsfähigkeit, Kompetenzen für Problemlösungen aber auch Fürsorge, sind genau die Kompetenzen, die wir als Studierende und auch als Organisation benötigen, wenn wir das Thema Resilienz in Zeiten von globalen Bedrohungen und auch im Zeichen der Wehrhaftigkeit angehen müssen.