Wenn’s in der Verpackung Europa menschelt, geht Europa einfacher
Es ist gerade mal eine Generation her, da war die Donau als zweitlängster Fluss Europas kein blaues Band, das Land für Land wie eine Perlenkette miteinander verband - so viele Länder, wie kein anderen Fluss dieser Erde! Zehn Länder. Bis vor 35 Jahren nämlich war die Donau streckenweise Teil das Eisernen Vorhangs. Der Osten und Westen voneinander abriegelte.
Kann man sich kaum vorstellen, wenn man bedenkt, was für eine wichtige Verbindung doch dieser Fluss auch schon all die Jahrhunderte davor für die Menschen war. Für den Handel, für Mutige, die sich woanders ein neues Leben aufbauen wollten, für die ersten Flusskreuzfahrttouristen, für den Austausch von Kultur und den stinknormalen Alltag: Mit von Donauwasser getriebenen Mühlen wurde Getreide gemahlen, es wurde der mittlerweile vom Aussterben bedrohte Stör, der „König der Donau“, gefischt und viele andere Fische. Wichtige Städte wie Budapest, Wien und Belgrad entstanden.
Doch Wasser lässt sich nicht aufhalten. Und so floss die Donau, die Grenze ignorierend, munter einfach weiter: Von Donaueschingen über Ulm bis ins Schwarze Meer. Fast 3.000 Kilometer. Und es entstand seit 1998 ein Netzwerk von Städtepartnerschaften dieser Donauländer. Freundschaften sollten entstehen, die Menschen sollten sich wieder näher kommen, sich verstehen - nach dieser Zeit der Trennung, des „Westens“ und des „Ostens“.
Während sich andere Städte in ganz Deutschland nach dem 2. Weltkrieg Partnerstädte vor allem in Italien und Frankreich schnappten, entschied man sich in Ulm für Städte an diesem Fluss gelegenen Ländern. Dem Fluss, der das Wasser aus Ulm dort hinträgt. Früher oder später: nach Bratislava in der Slowakei, Budapest, Baja und Hódmezővásárhely in Ungarn, Vukovar in Kroatien, Novi Sad, Subotica und Kladovo in Serbien, Wedin und Silistra in Bulgarien sowie Hermannstadt, Temeschburg, Arad, Klausenburg und Tulcea in Rumänien. Auch die Schulen starteten mit Austauschen in diese Länder.
Es entstand auch das Donaubüro im Ulmer Fischerviertel. Als eine Art Glaubensbekenntnis. Der Glaube an Europa und die europäische Integration sollte damit bekräftigt werden. Es sollte nationalistischen Strömungen entgegen wirken, damit sich auch die Geschichte der Trennung zwischen den Staaten diesseits und jenseits des Flusses nicht wiederhole. Das Donaubüro ist eifrig. Es organisiert seither Veranstaltungen, Projekte und Workshops rund um die Donauländer. Unter anderem das große Donaufest, alle zwei Jahre.
Doch Carmen Stadelhofer, die verschiedene europäische Projekte von Ulm aus koordiniert, sagt mit Blick auf heute auch: „In einigen Ländern Osteuropas ist Europa am Entschwinden.“ Sie denkt an die Europapolitik, etwa Bulgariens oder Serbiens. „Unser Ziel: Europa von unten. Europa fühlbar machen, Menschen zusammenbringen.“ Manche Menschen in diesen Ländern hätten gar nicht so ein richtiges Gefühl für Europa. „Weil sie die Erfahrung der EU nicht haben. Auch nicht die Erfahrung, in Europa zu reisen. Manche waren mal im Urlaub, etwa in Griechenland. Weiter im Westen nicht.“ Doch diese unterschiedlichen Menschen können interessant füreinander sein. Was unterscheidet ihr Leben, ihre Kultur voneinander? Haben sie am Ende sogar einiges gemeinsam?
Das können sie herausfinden: auf dem virtuellen Marktplatz „VIMA danube“. Die Abkürzung steht für „Virtuell.Mitmachen.Aktiv!“. Dort tauschen sich Menschen der Donauländer aus. Carmen Stadelhofer: „Eine ungeheure Möglichkeit, mit Menschen in Kontakt zu kommen, mit denen man sonst nicht in Kontakt käme.“ Auch wenn man nicht dieselbe Sprache spricht? Kein Problem.
Konkret: Es gibt auf der Internetseite von VIMA danube verschiedene Bereiche. Zum Beispiel „Suche/Biete“. Stadelhofer erklärt: „Da kann es sein, dass ich nach Klausenburg/Cluj-Napoca in Rumänien reise und jemanden suche, der mit mir durch die Stadt geht, sodass ich einen individuellen Eindruck bekomme.“ Jemand anders sucht unter der Rubrik wiederum Leute, die ihm Tricks beim Aufziehen von Avocados verraten. Wieder jemand anders sucht Gleichgesinnte, die zum Münchner Opern Festival mitwollen.
Es gibt auch eine Gruppe vom Märchenfans. Angelouise fragt auf Serbokroatisch in die Runde, wie andere „Hänsel und Gretel“ als Kinder erlebt haben. Kein Problem, wenn man kein Serbo-Kroatisch kann. Ein Click auf das Weltkugel-Symbol und schwups, der Text ist in die eigene Sprache übersetzt. In einer anderen Gruppe sammelt jemand schnelle Rezepte. Eingetroffen sind schon Zitronenreis und Zitronenspaghetti. Aber auch „Seelenwärmer Soljanka“ - eine Suppe mit geräucherten Würstchen oder „Schwäbischer Riebel/Stopfer“ mit Apfelmus. Lecker!
Unter „Neuigkeiten“ erfährt man, wie die Journalistin und Deutschlehrerin Karina Beigelzimer, die in der ukrainischen Hafenstadt Odessa wohnt, den Krieg erlebt. Es wird auch auf den „Danubius Young Scientist Award“ hingewiesen oder auf den Fotowettbewerb „Spuren von Europa in meiner Stadt“.
Eine Hoffnung der Macher der Seite VIMA danube: Dass die Leute im Sommer zum Ulmer Donaufest kommen und sich dort mit Menschen treffen, die sie auf der Plattform kennen gelernt haben. Ja vielleicht sogar ein Sofa zum Schlafen finden? Das Motto des Fests: zehn Tage - zehn Länder. Dem Besucher wird ein Konzentrat sämtlicher Donauländer serviert: aus Deutschland, Österreich, Slowakei, Kroatien, Ungarn, Serbien, Rumänien, Bulgarien, Republik Moldau und der Ukraine. Es gibt typischen Wein aus Österreich und vom Balkan, Cevapcici aus Serbien, kroatischen Bohneneintopf, bunte und blumenreiche ukrainische Handwerkskunst, traditionell bestickte rumänische Bauernblusen und entlang des Ulmer und Neu-Ulmer Donauufers klingt die Donau vor allem: Überall Musik aus den Donauländern, Menschen, die die jeweiligen Sprachen von dort sprechen und sich - zu später Stunde - fröhlich in den Armen liegend und aus vollem Herzen Volkslieder schmettern.
Die große Schwester des Sozialen Netzwerks „VIMA danube" heißt übrigens „danect“. Alle zwei Wochen gibt es am Sonntagabend ein Treffen, zu dem sich Menschen aus allen Donauländern per Video zuschalten: um vorgetragene Gedichte oder Lieder zu hören oder Tipps für Städtereisen zu bekommen, zum Beispiel. Auf danect haben Menschen der Donauländer bereits etliche ihrer Kulturschätze vorgestellt. Carmen Stadelhofer erzählt: „Da haben wir festgestellt, dass es doch in vielen Donauländern Menschen gibt, die sich für Karneval interessieren, für Brotbacken, für Kochrezepte oder ganz bestimmte Literatur.“
Das Donaubüro zieht auch immer wieder EU-Projekte an Land. Es gab einige Donaujugendcamps und Austausche. Auch der vom Land Baden-Württemberg geförderte European Energy Award gilt den Donauländern. Er wird an Kommunen verliehen, die beispielhaftes in Sachen Klimaschutz leisten und macht diese Kommunen in den Donauländern nochmal sichtbarer. Die Kommunen werden für ihre Klimaschutzprojekte zertifiziert und können damit werben.
Wie schön es ist, die Donauländer zu entdecken - anstatt immer nur Italien, Spanien oder gar Thailand. Das wollen die Tourismusprojekte zeigen, die von den Donaubüros der verschiedenen Länder entwickelt worden sind. Es geht um sanften und nachhaltigen Tourismus. Reisen mit dem Rad, zu Fuß, mit dem Zug oder mal mit dem Boot. Bewusstes und intensives Reisen, ohne Kultur und Natur zu zerstören. Dazu wurden die mehr als 90 „Danube Guides“ - Touristenführer - ausgebildet. Sie vermitteln das Natur- und Kulturerbe der Donauregion.
Beim EU-Projekt Transdanube Travel Stories sind sechs Reiserouten durch die Donauländer entstanden, mit jeweils einem speziellen Schwerpunkt: etwa „Kontrastreiches Europa“, „Nature Love“, „Römerspuren“, „Kunst und Kultur“, „Handelsweg Donau“ und „Danube for the soul“. Auf der Seite https://www.danube-pearls.eu/en/danube-travel-stories haben Influencer ihre Reiseroute vorgestellt, gespickt mit Tipps zu Sehenswürdigkeiten, Naturschönheiten, Lieblingsorten und wie man am besten von A nach B kommt. Es gibt jeweils ein kurzes Video als Appetizer, eine Übersicht über Städte und Länder, die auf der Route liegen und einen Reiseplan zum Herunterladen.
Der Ulmer Fotograf Dominic Breitbarth hat mit seiner Freundin einen Teil der „Nature Love“-Route ausprobiert. Er erzählt von der Tour durch die Natur Serbiens, Kroatiens und Rumäniens. Besonders fasziniert habe ihn die Gegend rund um das Eiserne Tor, weil die Donau sich dort imposant durch das Gebirge bricht. „Eine richtige Schlucht!“ Interessant sei gewesen, dass der Wasserstand an der Stelle nur deshalb so hoch sei, weil die Donau angestaut wurde. „Dann waren wir noch an einer Stelle, an der man gesehen hat, wie eine Siedlung unter dem Wasserspiegel verschwunden ist.“
Empfehlen würde Dominic Breitbarth Kopacki Rit in Kroatien - ein Überschwemmungsgebiet und ein Naturpark der Donau. „Da waren wir mit einem Ranger zum Sonnenaufgang unterwegs. Er zeigte uns einige Orte und wo normalerweise das Wasser steht und wieder abfließt.“ Dort haben die beiden auch viele Tiere gesehen: Kormorane, Rehe, Schwarzstörche und Eisvögel. Als Fotografen haben Breitbarth vor allem die Bienenfresser fasziniert - ein wahnsinnig bunter Vogel. „In Deutschland gibt es nur wenige Orte, an denen man Bienenfresser sieht. Dort unten gab es die in Massen.“ Auch beim Kanufahren sind den beiden einige Tiere begegnet.
Egal ob der Austausch über Kochrezepte zwischen einer rumänischen Rentnerin und einer schwäbischen Studentin, ob Radreise durch die Vielfalt der Landschaften und Städte der Länder entlang der Donau, ob tolle Klimaschutzprojekte zum Nachmachen, ob Schüleraustausch, Diskussionen über Kultur oder eine neue Bekanntschaft aus dem Internet, die einen demnächst mal durch Hermannstadt führt: All diese Menschen lassen sich auf einen vielleicht nicht immer ganz so populären Teil Europas intensiv ein. Sie haben Lust darauf, die anderen kennenzulernen. Sie machen Begegnungen, lassen sich überraschen, finden Gemeinsamkeiten und leben einfach Europa. Ohne Strategie, ohne politisches Programm. Sondern einfach, weil’s Spaß macht.
Isabella Hafner