Ein Ort zum kreativen Auftanken inmitten des Alltagsverkehrs

Lesezeit
2 Minuten
Gelesen

Ein Ort zum kreativen Auftanken inmitten des Alltagsverkehrs

0 Kommentare

Vermutlich war das kleine Häuschen am Ehinger Tor besser besucht, als noch die Schwarzfahrer darin vernommen wurden. Und die Busfahrer dort ihre Pause machten. Am größten Verkehrsdrehkreuz Ulms. Am Eingang liegt ein Buch aus, in das sich Besucher wegen Corona eintragen müssen. Der letzte Gast: vor drei Tagen.

Jammerschade! Denn die kleine Galerie - der sogenannte Kunstpool - ist an den betriebsamen Ort Anfang 2020 gezogen. Hier überraschen an diesem Tag großformatige Acryl-Ölbilder mit Collageelementen, in die auch hinein gezeichnet wurde. „Jeder Tag eine Tretmine“ heißt die Ausstellung der Schweizer Künstlerin Marita Tobner. Ihre Werke tragen Namen wie „Papageiengeflüster“, „Am Tag als der Regen kam“ und „Durchs Raster gefallen“. Marita Tobner will Verflechtungen und Widersprüchlichkeiten im menschlichen Sein aufdecken. Und zur Diskussion stellen. Dabei widmet sie sich häufig dem Sichtbarmachen inneren Erlebens von Frauen.

Die Galerie am Ehinger Tor - ein Ort, der gerade im Winter jedermann und jede Frau einlädt, einfach mal herein zu schneien, Motive, Farben und Formen auf sich wirken zu lassen, Assoziationen zu entwickeln, zu träumen, nachzudenken, Inspirationen mitzunehmen aus dem ruhigen Häuschen mit in den lauten, vollen Bus. Nach einer kurzen aber intensiven Umsteigezeit. Man darf sich auch einfach im Warmen drinnen ein bisschen aufwärmen. Für diese Galerie muss man kein kunstbeflissener Kenner sein, sich nicht aufbrezeln, jegliches Chichi fehlt hier.

Hinter der wundersamen Metamorphose eines Schwarzfahrerhäuschens stecken unter anderem vor allem der Ulmer Kunstwerk e.V. und die AG West. Sie hatten die Idee dazu und ursprünglich versucht, eine Pop-Up-Galerie in der Innenstadt zu eröffnen: mit einem Café, Verkaufsständen für Kunsthandwerk und einer Galerie zum Beispiel. Ein leer stehendes Ladengeschäft hatten sie dazu bereits in Aussicht, doch die Miete wäre auf Dauer zu teuer gewesen. Das erzählt der ehemalige Kunstlehrer und freiberufliche Musiker Reinhard Köhler vom Kunstwerk e.V..

Das alles hat aber am Ende nix gemacht, denn Köhler und seine Mitstreiter fanden die Location am Ehinger Tor ideal für eine Galerie, die möglichst viele Bevölkerungsschichten ansprechen sollte. Und außerdem: Wer eh auf den Bus warten muss, schaut vielleicht einfach mal aus Neugierde rein. Auch wenn er sonst mit Kunst nichts am Hut hat. Außerdem müssen die Vereine hier nur die Betriebskosten zahlen.

Sie haben vor zwei Jahren auch eigene Energie in die Entkernung des Gebäudes gesteckt. Köhler erzählt: „Die Räume waren sehr verschachtelt, wir haben Wände herausgerissen und neue eingezogen und gestrichen.“ Außen haben sie ein niedriges Stahlskelett um das Häuschen gezogen, an dem nun zwei schwarz-weiße Banner jeden Wartenden auf den Kunstpool aufmerksam machen.

Alle paar Wochen zieht eine neue Ausstellung ein. Reinhard Köhler sagt: „Wir verstehen die Galerie als eine Galerie, die gesellschaftlich relevante Themen aufgreift.“ Und so trugen Ausstellungen bereits den Titel „Friede, Freude, Eierkuchen“ – oder „Der Tod ist ein Meister aus Ulm“, wobei es hier um Militär und Rüstung aus Ulm ging. Es gibt Performances in der Galerie, aber auch Medienkunst. Und jedesmal eine Vernissage. Vor allem, als wegen Corona weniger Einschränkungen waren, im Sommer, kamen immer 80 bis 90 Leute zu den Vernissagen, sagt Köhler. Er hofft, dass auch die folgenden Ausstellungen bald wieder viele Ulmerinnen und Ulmer anlocken werden.

Ab Mitte Februar startet die neue Ausstellung mit dem Namen „Armutszeugnisse“. Die Neu-Ulmer Künstlerin und ehemalige Kunstpädagogin am Blaubeurer Joachim-Hahn-Gymnasium Myrah Adams setzt sich in ihren Schwarz-Weiß-Foto-Collagen unter anderem mit der Geschichte auseinander. In der Vergangenheit widmete sie sich immer wieder Ausstellungsdokumentationen und Publikationen zu zeitgeschichtlichen Themen und zu jüdischer Geschichte und Kultur. Im Auftrag jüdischer Familien betrieb sie eine Zeitlang außerdem genealogische Recherchen. All diese Erfahrungen im Leben kann man aus ihren Bildern herauslesen.

Übrigens: Direkt gegenüber des Kunstpools gibt es einen Pavillon, der das literarische Gemüt befriedigt. Hier kann man fremde Bücher, die einen anlachen, einfach herausnehmen und eigene, die man zu verschenken hat, da lassen. So bleibt Kultur im Verkehr. Nicht verkehrt!

Isabella Hafner