Einmal 80 und zurück

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Einmal 80 und zurück

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Wie ist das eigentlich, wenn man alt ist? Wenn die Füße schwer sind und man die Welt um sich herum vielleicht nur noch schemenhaft wahrnehmen kann? Ein Selbstversuch.

GERT verbringt seine Zeit in einem Raum der Geriatrischen Rehabilitationsklinik der Agaplesion Bethesda Klinik Ulm am Zollernring. Wird er nicht benötigt, hängt er locker über einem Stuhl oder steckt in einem Koffer. Doch GERT wird immer wieder gebraucht. Zu Demonstrationszwecken. Denn mit dem aus verschiedenen Komponenten bestehenden Gerontologischen Testanzug kann man in wenigen Augenblicken alt werden oder sich zumindest so fühlen. „Wir nennen das „Einmal 80 und zurück“, so Anja Schiele. Die Ergotherapeutin begleitet meinen Selbstversuch und streift mir Schritt für Schritt immer mehr Gewichte über. So macht eine Manschette am Hals deutlich wie es ist, wenn die Beweglichkeit von Kopf und Nacken eingeschränkt ist. Mit Gewichten beschwerte Bandagen und Manschetten an den Knien und an Ellbogen stehen für Gelenksteifigkeiten. Als ich die zehn Kilogramm schwere Weste anziehe, weiß ich ziemlich schnell, wie es sich anfühlt, wenn man bereits sieben oder acht Jahrzehnte auf dem Buckel hat. Und als ich mir die speziellen Handschuhe des Alterssimulationsanzuges überstreife, wird es fast unmöglich, kleine Tabletten aus einer Packung zu greifen. Doch bevor ich mich so schwer beladen zu meinem kleinen Rundgang durch die Musterwohnung vom Stuhl hochhieven kann, reicht mir die stellvertretende Therapieleiterin noch eine Spezialbrille, die mir den grauen Star vor Augen führt. 

Dazu gibt es noch einen Kapselgehörschutz, der zum Beispiel eine Hochtonschwerhörigkeit oder Tinnitus simuliert. Von diesem Moment an höre ich so gut wie nichts mehr von dem, was um mich herumgesprochen wird. 

Unscharfe Konturen

Dann drehe ich ganz langsam und mit schweren Gliedern eine Runde durch den Raum, gehe ins angrenzende Badezimmer, setze mich aufs Bett und kehre schließlich zurück an den Tisch – quasi als alter Mann. Dabei muss ich aufpassen, dass ich nirgends anecke, denn ich sehe alles verschwommen und kann nur noch Konturen wahrnehmen. Auch das Aufrichten an der Bettkante gelingt am besten mit einem festinstallierten Griff. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich ein Gefühl dafür, wie es meinem Vater ergangen sein muss, als er sich mit über 90 Jahren nur noch mit einem Rollator fortbewegen konnte.

Und genau das ist ja der Zweck der Übung. „Der Alterungsanzug macht die typischen Einschränkungen älterer, gesunder Menschen auch für Jüngere erlebbar. Dazu gehören unter anderem die Eintrübung der Augenlinse, die Einengung des Gesichtsfeldes oder ein nachlassendes Koordinationsvermögen“, erklärt mir Anja Schiele, als ich mich nach meinem Rundgang so nach und nach wieder in einen 59-Jährigen zurück verwandle. 

Selbsterfahrungs-Workshop

Das Geriatrische Zentrum bietet eine Vielzahl an internen und externen Schulungen mit GERT an, dessen Wirkung wissenschaftlich evaluiert ist. So können all die Menschen, die mit Seniorinnen und Senioren zu tun haben, diese Selbsterfahrung machen – unter fachmännischer Anleitung. Dazu gehören Ärztinnen, Ärzte, Pflegekräfte, Medizin-Studierende, aber auch Architekten und Handwerker, die im Bereich Bauen, Wohnen und Sanieren altersgerechte Lösungen in Gebäuden finden müssen.   

Nach einer halben Stunde bin ich wieder ganz der Alte, fühle mich wieder leichter und jünger, aber irgendwie auch reifer.

Stefan Loeffler


Ihr Kontakt zu GERT

Brigitte Kohn
Ergotherapeutin, Bc OT
Projekt DAHEIM DANK DIGITAL 
Tel. 0731-187 295
brigitte.kohn@agaplesion.de

Anja Schiele
Referentin Geriatrisches Zentrum Ulm
Ergotherapeutin und kognitive Fachtherapeutin
Tel. 0731-187 220
anja.schiele@agaplesion.de