Essen ist politisch

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Essen ist politisch

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Dank einer gut informierten, politisch selbstbewussten Öffentlichkeit und angesichts der Skandale im Bereich von Landwirtschaft und Ernährung wird der Ruf nach einer Wende des bisherigen Systems immer lauter, eines Systems mit wirtschaftlichen und politischen Seilschaften, mit dem Konzerne das große Geld verdienen, bezahlt durch milliardenschwere Subventionen aus Steuermitteln: Das Kapital beherrscht die Ernährungsszene.

Dieses System setzt auf eine industriell organisierte Landwirtschaft. Mit massiven Folgeschäden für das Grundwasser, für die Bodenqualität, für das Überleben der Insekten, für eine artgerechte Tierhaltung, für den Klimawandel, für die Artenvielfalt. Kostenverzerrende Billigpreise im Lebensmittelhandel und Wegwerfmentalität als Nebenprodukt. 

In diesem bisher politisch geförderten System wird mit dem Schlagwort „Wachse oder weiche!“ seit Jahrzehnten das Höfesterben hingenommen. Die großen Betriebe fressen die kleinen. Großinvestoren in Nord- und Ostdeutschland entdecken ganze Landstriche als lukrative Geldanlage und treiben damit Pacht- und Grundpreise für „normale“ Landwirte in unerschwingliche Höhen. Gleichzeitig kassieren sie millionenschwere Agrarsubventionen aus Steuergeldern, auf Grund der unseligen Hektarbindung, ohne Umweltanforderungen. Noch mehr Massentierhaltung, mehr Gift, mehr Gülle… 

Kurzum: In diesem System sind nicht nur Konsument*innen, Umwelt und Klima, sondern vor allem auch die Bauern selbst Opfer einer gnadenlosen Wachstumsstrategie geworden. 

Mit hoher Schuldenlast. Dieses System zerstört zusätzlich durch seinen Export in Länder der sogen. Dritten Welt die Existenz der für die Ernährung vor Ort benötigten Landwirtschaft - durch Billig-Exporte von Milchpulver und Fleischprodukten. Zuvor haben Tiere in unseren Ställen giftverseuchte und gentechnisch veränderte Futtermittel gefressen, importiert z.B. aus Brasilien und Argentinien; dort wird dafür Regenwald gerodet, zugunsten von Artenvielfalt vernichtenden Monokulturen. Und: Mit dem Mercosur-Freihandelsvertrag soll demnächst der europäische Lebensmittelmarkt mit Fleisch aus eben diesen Ländern überflutet werden, was die EU-Umweltstandards unterläuft und im Gegenzug ermöglichen soll, EU-Autos verstärkt in diese Länder zu exportieren. Ein komplettes Gegenbeispiel für die notwendige Agrarwende!

Hoffnungszeichen

Für eine Wende müssen viele Akteure ihren politisch relevanten Beitrag leisten: Konsument*innen, Landwirt*innen, der Einzelhandel. Vorbilder: Konsument*innen legen signifikant mehr Wert auf eine gesunde, durch Schadstoffe wenig belastete Ernährung, kirchl. Ackerflächen werden zu moderaten Preisen angeboten; Kantinen bieten „Bio“ an, eine regionale Brauerei hat vier Bio-Biere im Sortiment. In der Region gibt es regionale Erzeugergemeinschaften, alternative Vermarktungsformen, regionale Saatgutmärkte, städtisches Gärtnern,und Solawi findet starken Zuspruch, der Kleingärtnerverein verbietet seit langem die Verwendung von Pestiziden….

Im Mittelpunkt:  die Grundwerte einer ökologischen und regionalvernetzten Land- und Lebensmittelwirtschaft und über allem die 17 UN-Nachhaltigkeitsziele. “Öko“ steht für artgerechte Tierhaltung, betreibt aktiven Klimaschutz durch Vermeidung von Treibhausgasen, Humusbildung und Rückbindung von CO2 aus der Luft in den Boden. Kreislaufwirtschaft und Flächenbindung der Tierhaltung ist ein wichtiges Grundprinzip. Der Verzicht auf chemisch-synthetische Stickstoff-Düngemittel und die Rückführung der Nährstoffe in Form von Mist und Kompost machen ihn weitgehend unabhängig von begrenzt vorhandenen Rohstoffen. 

In diesem Bewusstsein können Lebensmittel wieder zu einem echten Wertprodukt entwickelt werden, an dem Landwirt*innen durch ihre ökologischen Leistungen kräftig mitverdienen. Ebenso an einem verbindlichen Tierwohllabel. Lebensmittel als Lockvogel oder unter EU-Standards sollten sanktioniert werden. 

Dies durchzusetzen ist die politische Aufgabe der Stunde. Das Volksbegehren in Baden-Württemberg mit dem vom Bauernverband, Umweltverbänden, Regierung und Parlament unterschriebenen „Biodiversitätsförderungsgesetz“ ist ein hoffnungsvoller Anfang.  

Theo Düllmann