Jugend aktiv in Ulm: Neue Wege der Mitbestimmung

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Jugend aktiv in Ulm: Neue Wege der Mitbestimmung

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Seit 2019 gibt es "Jugend aktiv in Ulm" als Interessensvertretung der Ulmer Jugend und beratendes Gremium für den Gemeinderat. In zeitlich kurz angelegten Projekten wird hier jungen Menschen die Möglichkeit gegeben, ihre Stadt aktiv mitzugestalten. 

Wann öffnen die Schulen wieder, wer hilft nächste Woche im Tafelladen aus, welche Botengänge stehen an? Auch im Team von "Jugend aktiv in Ulm" stehen die Zeichen auf Corona. Leonie, Sophi, Anouk, Johannes, Robin und Koordinatorin Nalan haben sich mal eben zu einer Konferenz zusammengeschaltet. Denn Treffen sind nicht möglich in diesen Zeiten. Die bestehenden Arbeitsgruppen sind einem Corona-Krisenrat gewichen, der sich täglich online austauscht. 

Alles kein Problem für Jugendliche als Digital Natives? Nicht so ganz, die Ungewissheit stresst und viele Aktivitäten müssen pausieren. Chats und Videokonferenzen sind auch hier nur ein Notnagel, um den Kontakt nicht abreißen zu lassen. "Besser als gar nichts", fasst Leonie die Situation lapidar zusammen. Die persönlichen Treffen und Diskussionen fehlen dem 31-köpfigen Team der Ulmer Jugendvertretung. Alle zwei Wochen trifft man sich normalerweise in der Donaubastion für mehrere Stunden, um Projekte bei der Mitgestaltung der Stadt zu besprechen, sich auszutauschen und die eine oder andere Pizza zu bestellen.

„Ein tolles Team“ findet Nalan Schmidt, die "Jugend aktiv" seit 2019 beim Stadtjugendring koordiniert und lobt ausdrücklich die disziplinierte Arbeit und Diskussionsfreude der engagierten Jugendlichen zwischen 14 und 27 Jahren. Auch in der Corona-Situation gab es schnell den Entschluss zu helfen. Das Team setzt sich beispielsweise für die Unterbringung von Obdachlosen ein, nach dem Motto "Wie soll man zuhause bleiben, wenn man kein Zuhause hat"“. Die Initiative "Naht und Tat" der City-Kirchengemeinden zur Herstellung von Mundschutzen wird von "Jugend aktiv" durch Botengänge unterstützt. So konnten Ulmer Einrichtungen wie das St. Anna-Stift schnell mit der dringend gebrauchten Ausrüstung versorgt werden. Diskutiert wird noch die Schaffung eine Jugendplattform im Netz, auf der sich gestresste Teenager zur Coronakrise austauschen und informieren können.

Gesetzlich vorgeschriebene Jugendbeteiligung
Erst seit 2019 gibt es die jetzige Struktur von "Jugend aktiv in Ulm". Sie löst das ehemalige Jugendparlament als Interessensvertretung der Ulmer Jugend und beratendes Gremium für den Gemeinderat ab. Doch das Konzept ist wesentlich ambitionierter. In zeitlich kurz angelegten Projekten soll hier jungen Menschen die Möglichkeit gegeben werden, ihre Stadt aktiv mitzugestalten. 

Denn seit 2015 schreibt die Gemeindeordnung Baden Württemberg (§ 41a) vor, dass "die Gemeinde Jugendliche bei Planungen und Vorhaben, die ihre Interessen berühren, in angemessener Weise beteiligen muss". Aber da ist auch schon Schluss mit konkreten Bestimmungen. "Alles Weitere bleibt der Kommune überlassen", sagt Nalan Schmidt. Dass die Ausgestaltung geeigneter Beteiligungsverfahren, wie es in der Verordnung heißt, eine längerfristige Aufgabe ist, ist der 42-jährigen Sozialpädagogin bewusst. "Man muss an viele Türen klopfen." Immerhin ist mit der Einrichtung ihrer Stelle beim Stadtjugendring für Kontinuität gesorgt.
Natürlich hängt der Erfolg wesentlich vom Engagement der jugendlichen Mitglieder ab. Nur einige stammen noch aus Zeiten des Jugendparlaments. Die überwiegende Mehrheit hat sich in den letzten Monaten zusammengefunden. Wie z.B. Ayad, der sich – selbst mit Fluchterfahrung – für die Perspektiven geflüchteter und neu zugewanderter Jugendlicher einsetzt und seitdem zu einem der konstantesten Mitstreiter wurde. Viele haben schon Erfahrung aus der SMV ihrer Schulen und setzen hier ihr Engagement auf einer weiteren Ebene fort. 

"Ich bin stolz auf unser Team", freut sich Nalan Schmidt über die bunte Mischung aus unterschiedlichsten Gruppen. "Jede und jeder bringt persönliche Impulse ein. Aber alle eint das Interesse am kommunalen Geschehen in der Stadt". Durch den regen Austausch untereinander finden die Mitglieder auch Zugang zu neuen Themen und einige entdecken die Kommunalpolitik für sich. Nachwuchstalente also für den Ulmer Gemeinderat? "Nicht unbedingt", meint Schmidt, "die Meisten sind nicht interessiert, in alten Strukturen mitzuarbeiten. Sie wollen direktere Wege der Mitbestimmung." Und das kann für die Stadt nur gut sein.

Engagierte Mitarbeit in zahlreichen Gremien
Trotzdem überzeugen viele der Jugendlichen durch ihre fundierten Ideen und ihr engagiertes Auftreten in diversen Gremien, wie den Regionalen Planungsgruppen der Quartiere, über die zahlreiche konkrete Vorschläge ausgearbeitet werden. Bei den zwei bis drei Treffen pro Jahr mit dem Gemeinderat, den Bürgermeistern und dem OB sind meistens alle Fraktionen vertreten. Eine Hand voll Rät*innen ist allerdings immer mit Herzblut dabei und hat die Anliegen der Jugendlichen auch schon in Form von Anträgen in den Gemeinderat eingebracht. Ein wichtiger Punkt, denn für die Beteiligung der Jugendlichen ist es wesentlich, dass sie ernst genommen und ihre Ideen aufgegriffen werden.

Neben dem Plenum und verschiedenen Arbeitsgruppensitzungen sind die Leute von "Jugend aktiv" auch regelmäßig beim Innenstadtdialog, dem Fachbeirat Landesgartenschau, dem Forum Bildung und dem AK Umweltschutz der Stadt Ulm zusammen mit dem Agendabüro und Fridays for Future vertreten. Im Rahmen einer neuen Kooperation mit ZAWIW (Zentrum für Allgemeine Wissenschaftliche Weiterbildung) wurde mit einer "Werteversteigerung" der Dialog zwischen Alt und Jung angekurbelt. Dabei gibt es mehrere gemischte Teams, die eine bestimmte Menge "Geld" zur Verfügung haben, um sich ihre wichtigsten Werte zu ersteigern. Zuvor wird ausgehandelt, was dem Team und jeder oder jedem Einzelnen besonders wichtig erscheint. Weit auseinander liegen die Generationen offenbar nicht. Leider ist der Corona-Shutdown dazwischen gekommen. Aber irgendwann wird auch da wieder Normalität einkehren und der Dialog fortgesetzt werden.


Wenn es gerade keine Kontaktsperren gibt, treffen sich bei "Jugend aktiv" regelmäßig folgende Themengruppen:

Perspektiven für Geflüchtete und neu Zugewanderte 
(Leitung: Ayad Derman Ibrahim)

Wie finden sich neu zugewanderte Jugendliche schneller in Ulm zurecht? Welche Bedürfnisse und Bedarfe haben sie? Welche Hemmschwellen bestehen beim Eintreten in Vereine? U.a. wurde ein Versammlungsraum für Menschen mit jesidischem Glauben organisiert.

Diversity
(Leitung: Julia Heinrich)

Alle Gruppen sind Teil der Gesellschaft in Ulm! Es geht v.a. um Aufklärung über verschiedene sexuelle Beziehungsformen unter dem Begriff Queer (wie Transgender und die LGBTIQ+ Community) sowie Gleichstellung der Frauen und Integration aller.

Demokratie/Sozialraum Wiblingen
(Leitung: Cemre Can)

Zusammenleben und Gemeinschaft in Ulm sollen gestärkt, Möglichkeiten zur Begegnung von Menschen jeglicher Religion und Herkunft geschaffen werden. Das "Projekt Demokratie" hat seinen Schwerpunkt in Wiblingen.

Umwelt global und lokal
(Leitung: Joshua Schiffer)

Wie wird das globale Klima durch lokale Aktionen beeinflusst? Wie kann jede*r im Kleinen Umweltschutz zuhause praktizieren? Wie kann der Umstieg vom Auto auf den ÖPNV und die Energiewende erleichtert werden? Unterstützt werden u.a. Fridays for Future Ulm und das Projekt „SHS-Trees“ der Spitalhofschule.

Jugendkultur
(Leitung: Ronja Lamorte)

Beim jährlichen "Teenart Project" können Jugendliche ihre Gedanken zum Zusammenleben in Ulm in Bildern ausdrücken. Außerdem wird die etablierten Kulturszene zu den Wünschen Jugendlicher beraten und der Aufbau einer Jugend-Kunstszene unterstützt (z.B. Graffiti Projekt mit der SWU u.v.m.)

Die Themengruppen freuen sich über weitere Interessent*innen und Mitglieder. Aber auch neue Themen sind willkommen. Eingeladen sind alle, die ihre Stadt aktiv mitgestalten wollen und etwa zwischen 14 und 27 Jahren alt sind. So eng wird das allerdings nicht gesehen


Thomas Dombeck


Kontakt:
jugendaktivinulm.de 
www.facebook.com/juaiulm
info@jugendaktivinulm.de
Tel. 0731  140 69 25