Verantwortungsvolles Wirtschaften

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Verantwortungsvolles Wirtschaften

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"Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl, insbesondere der Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins für alle und der allmählichen Erhöhung der Lebenshaltung aller Volksschichten."

Was sich wie eine Utopie von Weltverbesserern liest, steht wörtlich in der Verfassung des Freistaates Bayern. Ähnliche Passagen finden sich im Grundgesetz und den meisten Verfassungen unserer Nachbarländer – eine schöne europäische Tradition. Nun sieht unsere wirtschaftliche Realität leider anders aus. Niedriglöhne, Umweltfrevel bei der Herstellung und Ausbeutung der Zulieferer in den "Billigländern" sind an der Tagesordnung. Der Profit sammelt sich bei wenigen großen Konzernen, deren Macht über die Politik und Gesellschaft immer weiter zunimmt. Geld bestimmt die Welt, nicht die Menschenwürde.

Ethische Werte in der Wirtschaft

Viele unserer gegenwärtigen Probleme wie Klimawandel, Flucht oder Korruption wurzeln in unserem finanzgesteuerten Wirtschaftssystem. Hier stellt die Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) einen Gegenentwurf auf, bzw. versucht unsere Wirtschaft wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen. Dabei erhebt sie den Anspruch, eine Alternative zu den gescheiterten Modellen des Kommunismus und Kapitalismus zu liefern. Die GWÖ orientiert sich an der Erfüllung unserer menschlichen Bedürfnisse als dem eigentlichen Zweck alles Wirtschaftens. Geld ist dabei nur ein Mittel zum Zweck. "Gelingende Beziehungen" werden als wichtigste Voraussetzung für das persönliche Glück und damit auch für das Gemeinwohl gesehen. Wirtschaftsleistung und Aktienkurse sagen dagegen nichts über die Lebensqualität in einem Land aus. Ziel ist ein möglichst selbstbestimmtes Leben in einer friedlichen und nachhaltigen Gesellschaft.

"Kooperation statt Konkurrenz" ist das Leitbild des Gemeinwohl-orientierten Wirtschaftens. Dabei wird das Profitstreben von Unternehmen nicht generell verdammt, nur soll es in einem der Gesell-schaft zuträglichen Rahmen bleiben. Statt riesiger, undurchsichtiger Konzerne setzt man auf über-schaubare Strukturen und Transparenz. Christian Felber (Foto), freier Journalist aus Wien und Initiator der gegenwärtigen GWÖ-Bewegung, geht so weit, die Zerschlagung von Konzernen und deren Aufspaltung in angemessene Geschäftszweige zu fordern. Im Gegenzug muss die Ausrichtung eines Unternehmens am Gemeinwohl auch von Staat und Gesellschaft belohnt werden. Eine diesen Zielen angepasste Steuerpolitik sowie Vorgaben für die öffentliche Vergabepraxis könnten entsprechende Anreize liefern. Ansätze dazu gibt es bereits bei unseren Nachbarn in Österreich, dem Vorreiter in Sachen GWÖ.

Menschenwürdige Arbeitsverhältnisse

Was würde die GWÖ für unsere Arbeitsplätze bedeuten? Wie die Gesellschaft insgesamt sollen sozialer Zusammenhalt, Vertrauen und Wertschätzung auch das Arbeitsumfeld prägen. Hierbei orientiert man sich an einer 20-teiligen Werte-Matrix: Menschenwürde, Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit und Transparenz sind die Grundwerte, an denen ein Arbeitgeber gemessen wird. Neben Gesundheitsförderung, Arbeitsschutz und Ergonomie des Arbeitsplatzes sollten alle Beschäftigten gleiche Chancen, eine angemessene Eigenverantwortung sowie genügend Entwicklungsmöglichkeiten haben. Ideen und Vorschläge der Mitarbeiter*innen im Unternehmen umzusetzen, ist Zeichen des Respekts.

Ein wichtiger Bewertungsfaktor der GWÖ ist, ob flexible bzw. individuell zugeschnittene Arbeitszeitmodelle angeboten werden, die unterschiedlichen Verhältnissen und Lebenslagen gerecht werden. Die Arbeitsstelle sollte den Mitarbeiter*innen genügend Zeit zur gesellschaftlichen Teilhabe lassen. Heute schränkt ein Vollzeitjob andere Aktivitäten wie Familie, Ehrenamt oder politisches Engagement stark ein oder macht sie gar unmöglich. GWÖ-taugliche Unternehmen haben eine organisationsweit geregelte Wochenarbeitszeit, die nicht so sehr an der Quantität festgemacht wird als mehr an der gerechten Verteilung des Arbeitspensums auf viele Schultern. Angesichts der fortschreitenden Automatisierung und Digitalisierung ist damit zu rechnen, dass sich die wöchentliche Arbeitszeit künftig eher bei 30 Stunden einpendeln wird. Dagegen scheiden sich die Geister, ob ein voller Lohnausgeleich dabei finanzierbar und wünschenswert ist. Unterschiedliche Meinungen sind in der GWÖ-Community erlaubt. "Die GWÖ ist ein entwicklungsoffener und demokratischer Prozess, in den alle Ideen und Vorschläge gleichberechtigt eingespeist werden können, um die übergeordneten Ziele zu verwirklichen", sagt dazu Johannes Miller von der Ulmer GWÖ-Gruppe.

Auch der attraktivste Arbeitsplatz bringt jedoch wenig, wenn der Verdienst nicht stimmt. Die GWÖ-Kriterien sprechen von einem standortabhängigen "lebenswürden Verdienst", der allen Mitarbei-ter*innen zu garantieren ist. Noch wichtiger als die Höhe ist die Lohngerechtigkeit, also wie weit höchster und geringster Verdienst in einem Unternehmen auseinander liegen. Wie aus Umfragen hervorgeht, empfinden die Meisten ein Verhältnis von 1:10, allerhöchstens 1:20 noch als gerecht. So steht es auch in der Wertematrix. In heutigen globalen Konzernen gibt es dagegen Gehaltsspreizungen von bis zu 1:1.000. Dies einem hart arbeitenden Mindestlohn-Empfänger zu vermitteln, fällt schwer und gefährdet zunehmend den sozialen Frieden.

Gemeinwohlökonomie in Ulm

Ein Vortag von Christian Felber im Jahr 2016 gab in Ulm den Impuls zur Gründung einer lokalen GWÖ-Initiative. Der pragmatische Ansatz zeigt sich auch in der Ulmer Gruppe: Kein Haufen ideolo-gisch geprägter Typen, eher ganz "normale", rational handelnde Menschen, die in der GWÖ eine realistische Chance auf Veränderung sehen. Zu dem etwa 15-köpfigen "Energiefeld", wie es im GWÖ-Jargon heißt, zählen Geschäftsführer, Studierende, Unternehmensberater und andere. Man pflegt die Nähe zum Ulmer Initiativkreis nachhaltige Wirtschaftsentwicklung (unw), der auch den Anstoß zur Gründung der Initiative im Jahr 2017 gab.

Seitdem hat sich die Arbeit der Gruppe eingespielt. "Wir treffen uns regelmäßig einmal im Monat und schaffen es neben den inhaltlichen Themen auch immer wieder, methodische Ansätze der GWÖ (z.B. das Konsensieren) umzusetzen und mit Leben zu füllen", berichtet Koordinator Johannes Miller. "Nach den Treffen im Haus der Begegnung schließt sich immer ab 20:30 ein GWÖ-Stammtisch im Café Kornhauskeller an, wo wir uns auch freuen, mit neuen Interessierten ins Gespräch zu kommen." Inzwischen werden auch interessierte Unternehmen beraten.

Thomas Dombeck