E-Scooter – Klimafreundliche Mobilität oder Elektroschrott auf den Straßen?

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E-Scooter – Klimafreundliche Mobilität oder Elektroschrott auf den Straßen?

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Ulm im Sommer 2021: Wahllos herumstehende Elektroroller, Konflikte mit Fußgängern, blockierte Radwege… Was für die Einen eine moderne und komfortable Form der Fortbewegung darstellt, ist für Andere ein Alptraum und eine unnötige Umweltbelastung. Seit die bunten E-Scooter 2020 auch in Ulm aufgetaucht sind, ist die Stimmung gespalten. Umweltfreundliche Mobilität auf der letzten Meile statt spritfressender Parkplatzsuche versprechen die Verleiher der elektrischen Stadtflitzer. Ob dieses Konzept aufgeht und die neue Beweglichkeit tatsächlich der Verkehrswende und damit dem Klimaschutz zugutekommt, hängt von verschiedenen Faktoren ab.

Dabei ist weniger ausschlaggebend, ob die Batterien mit Ökostrom aufgeladen werden oder nicht. Die Mikromobile sind vergleichsweise leicht und brauchen wenig Energie. Wie die Ökobilanz eines Scooters aussieht, entscheidet sich über den gesamten Lebenszyklus. Und der beginnt mit der Produktion. Abgesehen vom Verbrauch seltener Rohstoffe entstehen bei der Herstellung eines gebräuchlichen Lithium-Ionen-Akkus (für Scooter oder Pedelecs) rund 30 Kilogramm CO2. Das entspricht etwa einer Autofahrt von 200 Kilometern. Klingt überschaubar, muss aber erst mal durch das Ersetzen von Kfz-Kilometern kompensiert werden. Daher ist vor allem die Lebensdauer entscheidend. Bei der ersten Generation, die auf den Markt geworfen wurde, hatte man eher den Eindruck eines Wegwerfartikels. Einfach gebaut und nach der Fahrt oft achtlos an den Straßenrand geworfen. Drei bis vier Monate mussten die Mietroller durchhalten, um sich zu amortisieren. 

Mittlerweile sind die Scooter weiterentwickelt und für den Sharing-Bedarf optimiert worden. Bei neueren Modellen lässt sich die Batterie einfach austauschen. Doch auch das logistische Konzept muss passen. Unwillkürlich sammeln sich die Fahrzeuge zu unterschiedlichen Zeiten an bestimmten Orten an und fehlen woanders. Im „Worst Case“ schnappen sich Mitarbeiter nachts die Roller und bringen sie mit dieselbetriebenen Transportern zur Ladestation, um sie dann auf die verschiedenen Standorte zu verteilen. Klimafreundlich ist das noch nicht.

Noch kein Beitrag zum Klimaschutz
Die entscheidende Frage lautet: Können E-Scooter Autofahrten vermeiden? Ende 2020 stellte das Umweltbundesamt (UBA) dazu noch eine ernüchternde Bilanz auf. Nach damaligem Kenntnisstand leisten die Stadtroller keinen erkennbaren Beitrag zur klimafreundlichen Mobilität. Erste Umfrageergebnisse in Großstädten zeigten, dass man ohne Scooter eher zu Fuß gegangen oder mit dem Rad gefahren wäre. Nur ein geringer Teil der Befragten gab an, wegen des neuen Angebots auf das Auto zu verzichten. Das UBA resümiert, dass es in den Innenstädten bereits genügend Mobilitätsangebote gibt und die E-Roller eher die knappen Rad- und Fußwege blockieren. Sinnvoller wäre der Einsatz in den Außenbezirken, wo der ÖPNV oft lückenhaft ist. Aber da lohnt es sich für die Verleiher nicht.

Die Anbieter arbeiten mit Hochdruck an der Auswertung von Nutzerdaten und Umfragen, um an konkretere Zahlen zu kommen. Von den großen Mobilitätsfirmen, die E-Scooter anbieten, sind derzeit drei in Ulm aktiv. Nach Aussagen des deutschen Startups TIER, dem Vermieter der mintgrünen Scooter, ist dem Unternehmen Klimaneutralität besonders wichtig. Unter anderem wurde eine Klimabilanz erstellt, die Produktion der Roller optimiert und Wartungsfahrzeuge mit Dieselantrieb durch E-Mobile und E-Lastenräder ersetzt. „Das lokale Team festangestellter Mitarbeiter kann leere Batterien direkt vor Ort durch geladene austauschen und dabei auch falsch geparkte Fahrzeuge umparken, wenn Bedarf besteht,“ so ein Unternehmenssprecher.

Der Anspruch des Mobilitätsanbieters ist aber noch deutlich ambitionierter: „Indem man die Menschen ermutigt, für kurze Fahrten E-Scooter statt Autos zu benutzen, können die Stadtzentren umgestaltet werden, da der für Parkplätze reservierte Platz frei wird, um einen sicheren und angenehmen Raum für alle Stadtbewohner zu schaffen.“ Wie weit sich das bestätigt, werden die nächsten Jahre zeigen. Nach neueren Studien von Nunatak und YouGov ersetzen immerhin rund 20 bis 33 % der E-Scooter-Fahrten derzeit Wege mit dem Pkw.

So werden E-Scooter in Ulm/Neu-Ulm genutzt 
Die inzwischen 330 in Ulm und Neu-Ulm eingesetzten TIER-Scooter sind nach Auskunft des Unternehmens sehr beliebt und werden von den Kunden auch einigermaßen pfleglich behandelt. „Wir sind sehr zufrieden mit den bisherigen Entwicklungen seit dem Start in Ulm und Neu-Ulm am 3. September 2020. Von Anfang an sind das Interesse und die Nachfrage ungebrochen,“ berichtet PR-Chef Florian Anders und ergänzt: „Generell verzeichnen wir unter der Woche in den Morgenstunden, in der Mittagspause sowie am Abend gegen 16 - 18 Uhr einen starken Anstieg an Fahrten, was auf eine vermehrte Nutzung der Scooter durch Pendler schließen lässt.“ Dass die Nachfrage im Bereich des Ulmer Hauptbahnhofs, des Neu-Ulmer Bahnhofs, um den Münsterplatz und an der Donau am höchsten ist, wird Ortsansässige nicht überraschen. Aber auch in den Stadtteilen, wo Scooter angeboten werden, gibt es bestimmte „Hotspots“ (s. Grafik).
   
Nicht überall dürfen die Roller in Ulm/Neu-Ulm abgestellt werden. Die Apps der verschiedenen Anbieter weisen Bereiche aus, in denen die Scooter nicht geparkt werden können und Zonen, in denen die Geschwindigkeit automatisch heruntergeregelt wird, um den Verkehr nicht zu gefährden. Hierzu hat die Stadt Ulm eine Kooperationsvereinbarung mit den Firmen getroffen, die z.B. auch erwünschte ÖPNV-Schnittstellen beinhaltet. Noch ist die Einhaltung allerdings freiwillig. Einen gültigen Rechtsrahmen, der die Städte berechtigt, Auflagen zu erteilen, gibt es noch nicht.

Die Stadt Ulm geht mit der Situation derzeit entspannt um. 14 Unfälle mit E-Scootern sind seit der Einführung polizeibekannt. Oft gibt es Meldungen über falsch abgestellte Fahrzeuge, rücksichtslose Raser oder Behinderungen auf den Gehwegen. Angesichts der Vielzahl von Fahrten halten sich die Beschwerden aber in Grenzen. Problematisch wird es nur, wenn Vandalen oder „Roller-Hasser“ die Fahrzeuge in den Flüssen entsorgen. Die EBU fischen z.B. regelmäßig Scooter aus der Blau, um Umweltschäden durch die Batterien zu verhindern. Wie viele gegenwärtig am Grund der Donau lagern, ist unbekannt. Vorsorglich hat die Stadt Ulm jetzt ein Parkverbot im Uferbereich erlassen (die Neu-Ulmer Zeitung berichtete dazu am 2.7.21).

Thomas Dombeck